Bachkantaten in der Predigerkirche
 
   
   

Während seit dem Ende des 18. Jahrhunderts meist zwei Trompeten zum Normbestand des klassisch-romantischen Orchesters gehören, bedeutete die Mitwirkung eines Trompeten- und Paukenchores im Spätbarock noch eine seltene Ausnahme, die solennen Gelegenheiten wie kirchlichen Hochfesten und fürstlichen Prunkanlässen vorbehalten blieb. Aufgrund der mit den Naturtoninstrumenten verbundenen harmonischen Einschränkungen prägte die Einbeziehung eines Trompetenensembles überdies den Charakter derartiger Musiken in einer Weise, die ein bestimmtes Klangidiom aus hoher Clarinlage und stabiler D-Dur- bzw. C-Dur-Akkordwelt entstehen liess, das wir heute ganz im Gegensatz zum damaligen Aufführungsalltag als „typisch barock“ empfinden.

 

Johann Christoph Bach
(1642–1703)
Es erhub sich ein Streit
Besetzung: Soli: S A T B I/II, Coro: S A T I/II B, Tromba I–IV, Tamburi,
Violino I/II, Viola I/II, Fagotto, Continuo
Erstaufführung: nicht dokumentiert
Text: Offenbarung 12, 7–12
Anlass: Michaelis

 

Auch in einer aus dem Jahr 1775 stammenden Äußerung Carl Philipp Emanuel Bachs klingt die immense Wirkung derartiger Festmusiken an, wenn er in einem Brief an den späteren Bachbiographen Forkel bemerkt: „Das 22stimmige Stück ist ein Meisterstück. Mein seeliger Vater hat es einmahl in Leipzig in der Kirche aufgeführt, alles ist über den Efeckt erstaunt. Hier hab ich nicht Sänger genug, außerdem würde ich es gerne einmahl aufführen." 1) Die Bemerkung des Hamburger Bach bezieht sich dabei unverkennbar auf das großangelegte Michaeliskonzert des Eisenacher Organisten Johann Christoph Bach (1642–1703), den schon Johann Sebastian Bach in seiner (heute verschollenen) musikalischen Familienchronologie als „großen und ausdrückenden Componisten“ bezeichnete. Daß Carl Philipp Emanuel Bach eine besondere Anhänglichkeit an den Eisenacher Ahn besaß, wird noch durch eine weitere Wendung deutlich gemacht, die er in den 1754 gemeinsam mit Johann Friedrich Agricola verfassten Nekrolog (Dok III, 666) auf seinen Vater hineinschrieb:

„Besonders ist obiger Johann Christoph in Erfindung schöner Gedanken sowohl, als im Ausdrucke der Worte, stark gewesen. Er setzte, so viel es nämlich der damalige Geschmack erlaubte, sowohl galant und singend, als auch ungemein vollstimmig. […] Wegen des zweyten Puncts aber, ist ein von ihm mit 22 obligaten Stimmen, ohne jedoch der reinsten Harmonie einigen Eintrag zu thun, gesetzetes Kirchenstück eben so merkwürdig, als dieses, daß er, auf der Orgel, und dem Claviere, niemahls mit weniger als fünf nothwendigen Stimmen gespielt hat.“

Offenbar handelte es sich bei „Es erhub sich ein Streit“ um eine im Familienkreis besonders geschätzte Komposition, wobei die außergewöhnliche Großbesetzung und die Mitwirkung von vier Trombe in C der harmonischen Entwicklung enge Grenzen setzten – sie vollzieht sich häufig eher im stufenweisen „Umklappen“ einzelner Klänge als im Zuge einer echten Entwicklung. Auf eine siebenstimmige Sonata nur für Streicher und Continuo, die sozusagen die Bühne für den folgenden Engelskampf bereitet und vielleicht im Sinne einer Battaglia den Aufmarsch der feindlichen Heerscharen vorstellt, folgt eine erste Textlesung, die von zwei Bässen in einem enggeführten Kanon vorgetragen wird, der wie bereits die Streichereinleitung auf einer unverkennbar kriegerischen Fanfarenmelodik beruht. Nach einer sukzessiven Fanfare der vier Trompeten schalten sich dann nacheinander die in zwei sechsstimmige Ensembles geteilten Singstimmen sowie die Streicher ein, was die mehrchörige Maschinerie des großen Apparates wirkungsvoll in Gang setzt. Das folgende Schlachtengemälde ist so aufgebaut, dass die beiden Vokalchöre heftig miteinander streiten, während die Streicher den ersten Singchor klanglich anreichern und Trompeten und Pauken unablässig ihre Signale schmettern. Dass das Tongebilde dabei über Dutzende Takte hinweg in C-Dur steht, macht die Schlusswendung nach G, die den offenbar äußerst knappen Ausgang zuungunsten des „Drachen und seiner Engel“ verkündet, um so wirkungsvoller: „und siegeten nicht: nicht!“. Stärker von barocker Figurenfreude geprägt ist der folgende Abschnitt, der über einem harmonisch stabilen und rhythmisch ostinaten Fundament die Singstimmen in ein dichtes Imitationsgeflecht verstrickt, das vielleicht die Vergeblichkeit der himmlischen Putschpläne andeuten soll – „auch ward ihre Stätte nicht mehr funden“. Unüberhörbar abbildend ist dabei die in höchste Höhen ohne Continuostütze enteilende Passage „im Himmel“.

Anschließend wiederholt sich die Struktur des ersten Großabschnittes in einer streicherbegleiteten Verkündigung der beiden Bässe, der in eine vielchörige Akkordstruktur übergeht. Der schlichte harmonische Rahmen gestattet es dem Komponisten, mit einfachsten Mitteln unmissverständliche Akzente zu setzen – etwa die Klangrückung in das erniedrigte B auf „verführet“ und die vor allem in den Bläsern extrem tiefe Lage zu „geworfen auf die Erden“. Eine doppelchörige Instrumental-Sinfonia im Dreiertakt markiert den Übergang vom nachgezeichneten Kampfgeschehen zur heilsgeschichtlich gedeuteten Siegesfeier. Wiederum im Wechsel von begleiteten Bassintonationen, doppelchörigen Klangflächen und Imitiationabschnitten wird zunächst des Blutzeugnisses der heiligen Märtyrerengel gedacht („denn sie haben ihr Leben nicht geliebet bis an den Tod“), bevor zu den Worten „darum freuet euch ihr Himmel und die darinnen wohnen“ lauter Jubel ausbricht, der in beschwingter Deklamation und über immer virtuoseren Spiel vor allem der Bläser zu einem prachtvollen Ende leitet. Das statische Verharren im C-Dur-Klang mag dabei über die Begrenzung der Trompeten hinaus jene vollendete Harmonie des Kosmos symbolisieren, wie sie als Triumph der durch die Engel verkörperten göttlichen Majestät den Gehalt des Michaelisfestes bestimmt.

 

BWV 50
Nun ist das Heil und die Kraft
Besetzung: Coro I: S A T B, Coro II: S A T B, Tromba I–III, Tamburi
, Hautbois I–III, Violino I/II, Viola, Continuo
Erstaufführung: unbekannt
Text: nach Offenbarung 12,10
Anlass: Michaelis (?)

 

„Den 8stimmigen Nun ist das Heil und die Kraft kannst Du an jede [Kantate] ankleben zum Schluß; Sebastian wird so hoffe ich zu seinem Vortheil gegen Händel schön abstechen" 2)

Mit dieser etwas saloppen Wendung beschrieb der Opernsänger und Bachforscher Franz Hauser 1838 sowohl den ungewöhnlichen Stilbefund als auch die aufführungspraktische Problemsituation des Chorsatzes „Nun ist das Heil und die Kraft“ BWV 50 im Kern zutreffend. Weist die Komposition mit ihrer trotz großer Orchesterbesetzung zunächst reinen Vokalfuge ohne einleitendes Ritornell und sowie mit ihrer mehr schlagkräftigen als regelmäßigen doppelchörigen Anlage doch eine für Bach nicht gerade typische Faktur auf, sondern erinnert zumindest dem ersten Höreindruck nach an manche Oratorienchöre Händels. Überdies stehen prachtvolle Ausstattung (zwei Vokalchöre, 3 Trompeten und Pauken, drei Oboen, Streicher, Continuo) und satztechnische Komplexität in einem gewissen Missverhältnis zur Kürze der Komposition, das immer wieder zu Spekulationen über die Entstehungsgeschichte sowie den möglichen Torsocharakter des Satzes einlud. Immerhin legt die Textgrundlage aus der Offenbarung eine Beziehung zum Michaelisfest nahe. Älteste Quelle der Komposition ist eine heute in Berlin aufbewahrte Partiturabschrift ohne Komponistenangabe, die nach Forschungen Hans-Joachim Schulzes dem Bachschüler Carl Gotthelf Gerlach (1704–61) zuzuweisen ist. 3)   Da dieser ab 1729 als Organist der Leipziger Neukirche amtierte, wurde die Komposition wiederholt mit der traditionell regen und teils eigenständigen Musikpflege des dortigen Collegium musicum in Verbindung gebracht, was insbesondere den amerikanischen Bachforscher William Scheide zweifeln ließ, ob es sich bei der heute vorliegenden Form um eine von Bach autorisierte Fassung handelt. Die seitdem in der Forschung kontrovers diskutierte Annahme, BWV 50 habe zunächst als vier- oder fünfstimmige Bachsche Chorkomposition mit unbekannter Orchesterbesetzung vorgelegen, die dann von einem unbekannten und nicht sonderlich geschickten Bearbeiten (Gerlach?) zur Doppelchörigkeit erweitert wurde, stützt sich neben einer gewissen Laxheit der Stimmführung vor allem auf die vermeintlich inkonsequente Fugenstruktur sowie die mehr klanglich verstärkende und satztechnisch etwas untergeordnete Rolle des zweiten Vokalchors. Tatsächlich wechseln sich in der Abwicklung der bis zu sechs nachweisbaren Themen nur die ersten vier nach Art einer Permutationsfuge konsequent miteinander ab, und auch für die Verbindung von Doppelchörigkeit und Permutationsform finden sich bei Bach keine weiteren Beispiele. Doch hat bereits Klaus Stein (1999) anlässlich dieses Beispiels zu Recht darauf hingewiesen, dass man einem Komponisten gewissermaßen nicht posthum vorschreiben könne, auf welchem Niveau der von der Forschung herausgearbeiteten Stilentwicklung er dann jeweils zu schreiben habe. Klaus Hofmann wiederum stellte auch mit Blick auf Vergleichsfälle bei Bach die Relevanz mancher verbotener Parallelführungen für den reich orchestrierten doppelchörigen Konzertatsatz in Frage und verwies stattdessen auf die „konzeptionelle Kühnheit und technische Meisterschaft der Umgestaltung“ (Hofmann 1994). Die zusätzlich eingeführte Umkehrung des eröffnenden Hauptthemas wäre dann nicht als allzu ambitionierte fremde Zutat, sondern als bewusster Bearbeitungsschritt zu sehen, der ähnlich wie die Einführung der Doppelchörigkeit die Kunsthaftigkeit und Klangpracht des Werkes hörbar steigern sollte. Selbst an der von Hofmann noch geteilten Annahme, die doppelchörige Anlage sei in der Tat eine (allerdings von Bach selbst herrührende) spätere Erweiterung, sind Zweifel angebracht. Maßnahmen wie das Aufsparen der simultanen Kombination von Hauptthema und Umkehrung erst für den zweiten Großabschnitt der Komposition sowie die wirkungsvoll auf beide Chöre verteilte akkordische Aussetzung der Schlüsselzeile „Nun ist das Heil und die Kraft ...“ zu Beginn des zweiten Teils (T. 69 ff.) verweisen auf ein Ausmaß an strategischer Planung, das mit einer ad hoc erfolgten Ergänzung nur schwer in Einklang zu bringen wäre.

Ähnlich schwierig gestaltet sich die Frage nach der Zuordnung des merkwürdigen Solitärs. Die in Gerlachs Quelle verwendete Bezeichnung „Concerto“ spricht zwar durchaus für den abgespaltenen (Kopf-)Satz einer Kirchenkantate, zumal sich auch für andere Kantaten Bachs – etwa das ebenfalls für Michaelis bestimmte „Es erhub sich ein Streit“ (BWV 19) – ähnlich ausschnitthafte Überlieferungen ausmachen lassen, die überdies mit dem im späteren 18. Jahrhundert zunehmenden Interesse an kompakten Chorwerken zuungunsten barocker Rezitativ- und Arienkunst  zusammenhängen mögen. Auch eine eigenständige Zweckbestimmung als eine Art Festmotette mit großer Orchesterbesetzung für die Michaelisvesper lässt sich jedoch keineswegs ausschließen

Felix Mendelssohn Bartholdy beherzigte übrigens 1838 den Rat seines Freundes Franz Hauser, indem er „Nun ist das Heil und die Kraft“ auf dem Kölner Musikfest als Schlusssatz einem Pasticcio anfügte, das – als „Cantate zum Himmelfahrtstage“ angekündigt – aus Teilen der Kantaten BWV 43, 25 und eben 50 bestand. Dank seiner im Detail recht weitgehenden Bearbeitung der Komposition konnte er mit dem seinerzeit als sperrig und unaufführbar angesehenen Bach durchaus Ehre einlegen und damit der eigenartigen Überlieferungs- und Aufführungsgeschichte von BWV 50 ein nur auf den ersten Blick bizarres Kapitel anfügen.

 

Jan Dismas Zelenka
(1679–1745)
ZWV 146
Te Deum
Besetzung: Soli: S A A T B, Coro: S A T B / S A T B, Tromba I–IV, Tamburi,
Traversa I/II, Hautbois I/II, Bassono I/II, Violino I/II, Viola, Continuo
Entstehungszeit: 1731

 

Jan Dismas Zelenka neuzeitliche Wahrnehmung wird selbst nach seiner partiellen Wiederentdeckung in den 1980er Jahren noch allzuoft von klischeehaften Sichtweisen bestimmt, die die Geschichte eines begabten, doch von lähmendem Schuldbewußtsein gepeinigten Sonderlings erzählen, der auf dem glatten Dresdener Hofparkett nicht zurecht kam, vom Stilwandel der 1730er Jahre aufs Altenteil geschickt wurde und in Krankheit, Vereinsamung und Torso gebliebener kompositorischer Vollendung (abgebrochener Zyklus der „Missae ultimae“) starb. An diesem weitgehend auf Mythen des 19. Jahrhunderts (Friedrich Rochlitz) zurückgehenden Narrativ, der frappierende Ähnlichkeiten zur populären Bachbiographik der Romantik aufweist, mag manches zutreffen – etwa Zelenka obsessive Religiosität und sein gescheiterter Versuch, 1733 Hofkapellmeister zu werden, wobei allerdings gefragt werden darf, ob er sich als verdienter Kirchenkomponist gegenüber dem mehr als 20 Jahre jüngeren Opernstar Johann Adolph Hasse wirklich ernsthafte Chancen ausrechnete. Auch dass Zelenka, der in der zweiten Hälfte der 1720er Jahre den schwindsüchtigen Hofkapellmeister Heinichen mehr und mehr in seinen Pflichten vertrat, für diese immensen Kosten und Mühen nie die verdiente Remuneration und Anerkennung fand, wird durch mehrere Bittschreiben belegt. Doch liegt gerade hier ein Ansatzpunkt vor, die Geschichte auch ein wenig anders zu lesen. Fand doch der böhmische Jesuitenzögling und autodidaktische Tonsetzer Zelenka in der jahrzehntelangen Arbeit mit der berühmten Dresdener Hofkapelle und den Ensembles der Hofkirchenmusik eine einzigartige Gelegenheit, seine kompositorischen Ambitionen im Umgang mit Europas führenden Musikern auszuleben und reifen zu lassen. Die in der posthumen Rezeption lange vorherrschende Konzentration auf die späten Messen und Litaneien der Jahre 1740–44 verstellt dabei nicht nur den Blick darauf, dass sich auch Zelenka intensiv und ertragreich mit dem galant-höfischen Stilidiom der jüngeren Generation auseinandergesetzt hat. Die Geschichte vom verkannten Genie stellt auch dessen jahrelange hochstehende Routineproduktion für die Hofkirche zu Unrecht in den Schatten einiger weniger Spätwerke, deren in der Tat ungewöhnliches Profil sich bereits in zahlreichen Messen, Psalmen und sonstigen Kirchenstücken der späten 1720er Jahre angelegt findet. Wolfgang Reichs Ansicht, Zelenka sei durch die notorische Zurücksetzung bei Hofe an der Entwicklung eines echten Personalstils gehindert worden, erweist sich so als ein aus Verehrung abgeleitetes Vorurteil, das klingend meist unmittelbar widerlegt wird.

Das großangelegte Te Deum ZWV 146, das nach Forschungen von Wolfgang Reich, Ortrun Landmann, Wolfgang Horn und Wolfgang Kohlhase wahrscheinlich für ein Dankfest anlässlich der Geburt von Prinzessin Maria Josepha Carolina Eleonora Francisca Xaveria am 11. November 1731 entstand, verdeutlicht die klanglichen, strukturellen und satztechnischen Qualitäten der liturgischen Musik Zelenkas in schlagender Weise. Mit zwei vierstimmigen Vokalchören, vier Trompeten, Pauken, Streichern, Oboen und in einigen Sätzen Traversflöten gehört es zu Zelenkas opulentesten Partituren und zeichnet sich dabei doch durch eine für den böhmischen Meister nicht selbstverständliche Effizienz aus. Schon das prachtvolle Eingangskonzert  versammelt mit lapidaren Bassformeln, rasanten Streicherkaskaden, effektvollen Tempo- und Klangwechseln sowie bohrenden Sequenzierungen zahlreiche Charakteristika des Zelenkaschen Komponierens, bindet sie jedoch in ein zugleich flüssiges wie repräsentatives Konzertieren ein, das den Lobpreis der gesamten Engels- und Himmelschöre zum Gegenstand hat und deshalb auch recht gut in einen Michaeliskontext passt. Zelenka gelingt es in seiner vielsätzigen Komposition, überwältigende Wucht immer wieder mit zarten Klangfarben und exquisiten Soloregistern („Tu rex gloriae“, „Tu ad liberandum“, „Per singulos dies“) abzuwechseln, die fest mit der virtuosen Gesangs- und Instrumentalpraxis der Dresdener Hofkapelle und damit jenem Stand des Musizierens rechnen, von dem ein Bach ausweislich seiner fast zeitgleich (1730) entstandenen Eingabe an den Leipziger Stadtrat höchstens träumen konnte. Zelenkas Vorliebe für dramatische Szenen vermag es dabei, die martialische Gerichtsmusik des „Judex crederis“ mit seinem kanonengleichen Trompeteneinsatz unmittelbar in das demütige „Te ergo quaesumus“ mit seiner verschatteten Welt verminderter Akkorde überzuleiten. Wie der reife Bach gelangt auch Zelenka zu einer überzeugenden Verbindung von konzertanter Faktur und tradiertem Fugenstil („Aeterna fac“), die durch die flächige Doppelchörigkeit („Et rege eos“) und die – liturgischem Usus folgende – Verwendung gregorianischer Melodien noch erweitert wird. Wiewohl vom höfischen Publikum gelegentlich als „zu lang“ kritisiert, können Zelenkas Dresdener Kirchenstücke als reife Meisterwerke angesehen werden, die ähnlich wie Bachs Kantaten auf der Basis einer umfassenden Stilkenntnis – Zelenka legte umfangreiche Repertoirekollektaneen für Studium und Aufführungstätigkeit an – zu einer bisher unerhörten Reichhaltigkeit und Radikalität der Ausarbeitung gelangten. Weit entfernt von Resignation oder versponnener Intellektualität, zeigt das Te Deum ZWV 146 den zweiundfünfzigjährigen Zelenka auf der Höhe seiner spielfreudigen Einfallskraft.

Anselm Hartinger

 

1
Dok VII, B 7. Carl Philipp Emanuel Bach hat Johann Christoph Bachs fünfstimmige Motette „Der Gerechte“ für Chor und Orchester eingerichtet und als Kopfsatz einer eigenen Kantate verwendet.

2
Franz Hauser an Felix Mendelssohn Bartholdy, 2. Januar 1838.

3
NBA I/30, Krit. Bericht (M. Helms, 1974) führt diese Hauptquelle P 136 noch als anonyme Handschrift. Die übrigen Abschriften des Stückes nennen zwar Bach als Komponisten, gehen jedoch auf diese Quelle zurück.