Bachkantaten in der Predigerkirche
12. August 2012
 
   
   

Drei Kantaten zur Trauung:
BWV 120a           
Herr Gott, Beherrscher aller Dinge
(Unvollständig überliefert)

BWV 197           
Gott ist unsre Zuversicht

BWV 195           
Dem Gerechten muss das Licht

Sich zu verheiraten gilt seit jeher in den meisten Kulturen als das höchste Glück, wurde und wird dementsprechend aufwendig begangen, viele Organisten und Kirchenmusiker im christlichen Kulturkreis wissen zwangsläufig um die Bedeutung dieses Anlasses. Sie werden heutzutage mit Musikwünschen betraut, die das ein oder andere Mal auch mal kurios ausfallen, aber meistens über das Standardrepertoire hierfür nicht hinausgehen: Hochzeitsmarsch von Wagner oder Mendelssohn, Schuberts „Ave Maria“, „So nimm denn meine Hände“ (interessanterweise eigentlich ein Sterbechoral), Bach-Präludium in C-Dur (auch in der Gounod-Bearbeitung als „Ave Maria“ bekannt), Bachs „Air on the G string“, ...

Sich zu vermählen ist ursächlich mit der Ethik einer Kultur verbunden, so waren „nach Tacitus’ Schriften die Germanen mit ihrer Einehe eine Ausnahme unter den ‚Barbaren’ der Antike – monogam lebende Völker waren in vorchristlicher Zeit eher die Ausnahme. Durch die Ausbreitung monotheistischer Religionen, die erfolgreiche Ausbreitung europäischer Normen und Werte seit dem 15. Jahrhundert und die christliche Missionierung wurde die Monogamie schliesslich die vorherrschende Eheform. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Ehe ausschliesslich Sache der Kirchen und Synagogen.“ (Quelle: www.wikipedia.org/wiki/Ehe)

Sich zu trauen war zur Zeit Johann Sebastian Bachs also eine rein kirchliche Angelegenheit, hierbei wurde die Musik der Bedeutung und dem Stand der Eheleute entsprechend ausgestaltet - auch schon einmal mit einer Kantate. Wir wissen von sechs solcher Trauungs-Kantaten Bachs, zu den Gepflogenheiten dieses Genres gehörte es, in der Dichtung auf den Beruf des Bräutigams anzuspielen, was laut Alfred Dürr „zuweilen recht seltsame Früchte trug.“ Bach selber war zweimal verheiratet, die erste Trauung mit Maria-Barbara (einer Cousine zweiten Grades) ging er im Alter von 22 Jahren ein und wurde am 17. Oktober 1707 in Dornheim gefeiert, knappe fünf Kilometer von Arnstadt entfernt. Nach dem unerwarteten Ableben Maria Barbaras im Juli 1720 vermählte sich Bach erneut am 3. Dezember 1721, seine zweite Braut wurde die 16 Jahre jüngere Anna Magdalena Wilcke, die jüngste Tochter des Weißenfelsischen Hoftrompeters Johann Caspar Wilcke und bekannt als eine „fürstliche Sängerin allhier“. Über die musikalische Ausgestaltung der Bachschen Trauungen ist nichts bekannt, man mag sich aber zumindest gut vorstellen, dass bei der zweiten Hochzeit sein Schwiegervater mit von der Partie war.

Die Datierung der Kantate BWV 120a wird auf 1729 angesetzt, genauere Hinweise zum Anlass gibt es keine. Original sind nur die Rezitative erhalten, die anderen musikalischen Sätze (1/3/6) lassen sich jedoch durch Parodiebeziehung mit der Ratswechselkantate BWV 120 ableiten, den Schlusschoral (8) hat Bach aus BWV 137 übernommen. BWV 197 hat Bach nach 1735 für eine ebenfalls nicht bekannte Trauung komponiert und dabei ebenso bereits vorhandene eigene Musik wieder verwendet, ursprünglich sollte sogar laut Dürr die ganze Kantate im Parodieverfahren entstehen. Bach hat letztendlich aus nicht bekannten Gründen nur die Bass-Arie „O du angenehmes Paar“ (6) und die Sopran-Arie „Vergnügen und Lust“ (8) parodiert, die Alt-Arie „Schläfert allen Sorgenkummer“ ist eine Originalkomposition. BWV 195 ist in der erhaltenen Fassung ein Spätwerk Bachs, laut Dürr in dessen letzten Lebensjahren entstanden. Ein der Originalpartitur beiliegendes Textblatt weist noch auf eine frühere Fassung dieser Kantate hin, die im zweiten Teil statt des allein stehenden Schlusschorals vermutlich noch um eine Arie und ein Rezitativ erweitert war. Auch hier gibt es Parodiebeziehungen, und so sieht man, wie Bach aufgrund der Anforderungen seines Amtes stets flexibel auf bereits vorhandene Kompositionen für einmalige Aufführungsanlässe wie z.B. Huldigungskantaten oder Trauungsmusiken zurück gegriffen hat. Die hier besprochenen Trauungskantaten verbindet die festliche Besetzung mit drei Trompeten und Pauken sowie die Zweiteiligkeit der formalen Anlage aufgrund der Trauungsliturgie, der zweite Teil nach der Trauung ist jeweils mit „post copulationem“ überschrieben. Zusätzlich zu den in BWV 197 und BWV 195 komponierten Chören, Chorälen, Rezitativen (Secco/zusätzlich mit ariosen Teilen, Accompagnato) und Arien findet man in BWV 120a eine instrumentale Sinfonia (eine Umarbeitung des „Preludio“ aus der Partita für Violine solo BWV 1006) sowie eine gemischte Rezitativform (Secco mit eingefügten Chorabschnitten).

Betrachtet man sich die Textdichtungen der drei Kantaten, so geht es zusammengefasst um den Lobpreis der Grossartigkeit Gottes, die Betrachtung seiner Güte und Barmherzigkeit sowie die Zuversicht und das Vertrauen hierauf, Gottes Treue zu den Menschen als Vorbild für die Treue des Paares zueinander und damit verbunden die Bitte um seinen Segen für das Brautpaar, das in BWV 120a vor der „copulationem“ noch als Verlobte und Verlobter angesprochen wird. Lassen sich bei BWV 120a und BWV 197 keine direkten textlichen Bezüge zum Brautpaar ableiten, so vermutet Dürr bei BWV 195 (Dem Gerechten muss das Licht), dass sich hier wohl ein Jurist vor den Traualtar begeben hat. Gerechtigkeit und Tugend werden an dem Brautpaar gepriesen, „dem Freudenlicht gerechter Frommen, Muss stets ein neuer Zuwachs kommen“ (Rezitativ Nr.2). Eine Frühfassung dieser Kantate wäre laut Dürr demnach für eine Trauung des Rechtskonsulenten und Naumburger Bürgermeisters Gottlob Heinrich Pipping mit Johanna Eleonora Schütz (einer Urgrossnichte Heinrich Schütz’) am 11. September 1741 denkbar.

 

BWV 120a „Herr Gott, Beherrscher aller Dinge“

Der Eingangschor (1) steht in Parodiebeziehung zum Chor „Jauchzet, ihr erfreuten Stimmen“ der Ratswechselkantate BWV 120, eine bekanntere Wiederverwendung des Hauptteiles findet sich zudem im „Et expecto resurectionem mortuorum“ aus dem Credo der sog. h-Moll Messe, hier in umfassend bearbeiteter Form. Kennzeichnend für diesen Da-capo-Satz sind einerseits die auf- und absteigenden Dreiklangsmotive – sicherlich von der Besetzung mit Trompeten angeregt – und andererseits die melismatische 16tel-Figurationen in den Chorteilen, beides ist musikalischer Ausdruck für festlichen Jubel und lebhafte Freude. Im anschliessenden Rezitativ (2) lobpreist der Bass Gottes Grösse, Güte und Macht, worauf der Chor einen Lobpreis anstimmt: „Nun danket alle Gott, der große Dinge thut“. Das Rezitativ endet mit der Fürbitte, „diese Lieb’ und Treu’ auch heute den Verlobten neu“ zukommen zu lassen. In der darauf folgenden Sopran-Arie (3) wird dieser Gedanke aufgenommen in der Bitte an Gott, durch seine Liebe “dieses neu verlobte Paar“ zu leiten - die Musik hierzu hat Bach bereits in der Ratswechselkantate  BWV 120 als auch in einer früheren Bearbeitung der G-Dur-Violinsonate mit obligatem Cembalo BWV 1019a verwendet und ist dementsprechend mit einer konzertierenden Violine besetzt.

Den zweiten Teil eröffnet eine festliche Sinfonia (4) mit obligater Orgel, deren Musik Bach ebenfalls - wie bereits weiter oben erwähnt - aus einem Kammermusikwerk (BWV 1006) entlehnt und bereits in der Kantate BWV 120 verwendet hat. Nach diesem musikalischen Jubel bittet der Tenor im Rezitativ (5) um „reichen Segen“, was der Chor zum Abschluss mit der Anbetung „Erhör’ uns, lieber Herre Gott!“ im Tempo Adagio bekräftigt. Es folgt ein Duett von Alt und Tenor (6), „Herr fange an und sprich den Segen“, das mit zwei Liebesoboen besetzt ist und ebenfalls in Parodiebeziehung zu BWV 120 steht, dort noch als solistische Alt-Arie. Charakteristisch für diese Arie im 6/8tel-Takt ist vor allem ein Motiv aus einer 16tel-Tonwiederholung, das mit seinem nachdrücklichen Pochen dieser Bitte musikalisch-rhetorisch Nachdruck verleiht. Der Bass bekräftigt darauf in einem Rezitativ (7) die Bitte um Gottes Beistand für das Paar und fordert auf, „Gott mit Freud und Singen ein Lob- und Dankenopfer“ zu bringen. Dem wird durch die 4. und 5. Strophe des Chorals „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ festlich Folge geleistet (8).

 

BWV 197 „Gott ist unsre Zuversicht“

Auch in dieser Kantate finden sich bei den Arien Parodiebezüge zu früheren Kantaten. Der Eingangschor (1) im Allabreve versinnbildlicht durch beständig schreitende 4tel im Bass und einer aufstrebenden 8tel-Figur in den Streichern die Zuversicht und das Gottvertrauen auf den Höchsten. Nach dieser konzertanten Einleitung nimmt Bach im Thema der darauf einsetzenden Chorfuge diese Bewegung auf: „Gott ist unsre Zuversicht, wir vertrauen seinen Händen“. Zum Abschluss der Durchführung erklingt als Bekräftigung des Gottvertrauens im homophonen Chorsatz in Ganzen die zweite Textzeile. Der B-Teil des Eingangschores ist im homophonen Chorsatz komponiert, die Trompeten samt Pauke schweigen: „Wie er unsre Wege führt, wie er unser Herz regiert, da ist Segen aller Enden“. Das darauf folgende Bass-Rezitativ (2) lobpreist Gott als Fürsorger der Menschen, der „das Glück der Kinder, die ihn lieben, von Jugend an in seine Hand geschrieben“ habe. Die Alt-Arie (3) im 3/4tel-Takt gleicht im Versmaß der Arie „Wieget euch, ihr satten Schafe“ der Schäferkantate BWV 249a, ist aber eine Originalkomposition Bachs. Ein Solo der Liebesoboe wird von gleichmässig fliessenden 8teln in den Streichern begleitet - „Schläfert aller Sorgen Kummer in den Schlummer kindlichen Vertrauens ein“ - bei einer Länge dieses ersten Teils von 73 Takten vermag man der Aufforderung in der Tat fast nachzukommen. Ein abrupter Wechsel in einen 4/4tel-Takt mit 8tel- und 16tel-Figurationen lässt aufhorchen: „Gottes Augen, welche wachen, [...] werden unser Leitstern sein.“ Nach 21 Takten dieser anregenden Wachsamkeit führt Bach uns dann aber für 61 Takte wieder zurück in die wohltuende Schläfrigkeit. Der Bass beschwört darauf in einem Accompagnato-Rezitativ (4) „Gott und seinem Triebe“ zu folgen, das sei die „rechte Bahn“, die „Herz und Herz zusammen“ bindet. Der den ersten Teil beschliessende Choral (6) bereitet das Paar auf die Trauung vor: „ [...] lass uns empfinden der Liebe Brunst, das wir uns von Herzen einander lieben“.

Den Teil nach der Trauung eröffnet Bach mit einer Bass-Arie (6), in der ein instrumentales Paar - die Solo-Oboe und ein obligates Fagott - in Dialog tritt und sich in 16tel- und 32tel-Figuren lebhaft miteinander austauscht: „Oh Du angenehmes Paar! Dir wird eitel Heil begegnen“. Im Rezitativ (7) bekräftigt der Sopran Gottes Fürsorge um das Paar, ein sich daran anschliessendes Arioso preist das Glück des Paares: „Wohl Dir, dein Glück ist nicht zu zählen“ – das Wort ‚zählen’ ist durch eine Koloratur aus vierzig 16teln entsprechend hervorgehoben. Die folgende Sopran-Arie „Vergnügen und Lust“ (8) ist mit einer Solo-Violine und zwei Liebesoboen besetzt, in freundlichem G-Dur schwingt die Arie im 6/8tel Takt vergnüglich dahin. Im anschliessenden Accompagnato-Rezitativ (9) stellt der Bass dem Paar Gottes Güte dauerhaft in Aussicht: „Und dieser frohe Lebenslauf wird bis in späte Jahre währen.“ In einem schlichten vierstimmigen Choral „So wandelt froh auf Gottes Wegen“ (10) entlässt Bach das frisch vermählte Paar auf die Melodie des Chorals „Wer nur den lieben Gott lässt walten“ in das Eheleben. In Bachs Originalpartitur ist dieser Choral untextiert, für eine Trauung kommt einzig die 7. Strophe in Betracht und müsste nach der originalen Fassung von Georg Neumarkt von 1641 mit „Sing, bet und geh auf Gottes Wegen“ beginnen.

 

BWV 195 „Dem Gerechten muss das Licht“

Textgrundlage zu dieser Kantate sind die beiden Verse 11 und 12 aus Psalm 97. Dem konzertanten Einleitungsteil (1) im 4/4tel-Takt zu dem Text „Dem Gerechten muss das Licht immer wieder aufgehen, und Freude den frommen Herzen“ folgt als Steigerung eine Chorfuge im 6/8tel-Takt über den Psalmvers „Ihr Gerechten, freuet Euch des Herrn“, wobei vor allem das Wort „freuet“ mit 16tel-Koloraturen hervorgehoben ist. Die erste Trompete setzt nach 18 Takten mit dem Thema ein und ist im weiteren Verlauf der Chorfuge solistisch mit einer virtuosen Partie hervorgehoben. Das anschliessende Secco-Rezitativ (2) vom Bass nimmt die schwungvoll freudige Energie des Eingangschores auf - „dem Freuden-Licht gerechter Frommen muss stets eine neuer Zuwachs kommen“ - der Basso Continuo unterstreicht dies durch zahlreiche melismatische 16tel-Triolen. Die darauf folgende und in dieser Kantate einzige Arie des Bass „Rühmet Gottes Güt und Treu“ (3) ist mit Streichern und zwei Liebesoboen besetzt und kompositorisch besonders durch den bei Bach seltener anzufindenden ‚lombardischen’ Rhythmus hervorgehoben. Die Textzeilen „Licht und Freude werden neu“ sowie „rühmet ihn mit reger Freude“ könnten musikalisch-rhethorischer Anlass zu dieser ‚zuckenden’, ja quasi ‚verzückten’ Rhythmik sein, das Wort „Freude“ bekommt abermals Gewicht durch eine ausgedehnte melismatische Figuration. Das anschliessende Sopran-Rezitativ „Wohlan, so knüpfet denn ein Band“ (4) ist mit zwei Traversflöten und zwei Liebesoboen ‚zart’ besetzt, das Band wird durch aufsteigende 32tel-Läufe in den Traversflöten  musikalisch ‚geknüpft’, die Trauung durch „des Segens Kraft“ vorbereitet. Der Chor stimmt jubilierend im 3/4tel-Takt ein (5): „Wir kommen, Deine Heiligkeit, unendlich grosser Gott, zu preisen.“ So wie sich die aufsteigenden Tonleitern aufwärts schwingen, so erhebt sich auch der Lobpreis gleichsam in ‚himmlische Sphären’.

Der zweite Teil dieser Kantate besteht in der überlieferten Spätfassung (zu einer früheren Fassung siehe oben) einzig in einer Vertonung des Gerhardschen Chorals „Nun danket all und bringet Ehr“, nun in der Besetzung mit zwei Hörnern anstatt der drei Trompeten. Die melodische Vorlage hierzu ist der Choral „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“.

Markus Märkl
05. 10. 2011