Bachkantaten in der Predigerkirche
 
   
   

Die drei Kantaten „Du heilges Geist- und Wasserbad“ (BWV 165), „Es ist ein trotzig und verzagt Ding um aller Menschen Herze“ (BWV 176) und „Höchsterwünschtes Freudenfest“ (BWV 194) gehören auf das Trinitatisfest, das Fest der göttlichen Dreieinigkeit oder Dreifaltigkeit. Mit diesem Fest kommt jene Kirchenjahrzeit zum Abschluss, in der es seit dem Advent um die grossen Ereignisse der Heilsgeschichte – Weihnachten, Ostern, Pfingsten – gegangen ist. In der katholischen Kirche wird als Evangelium der Taufbefehl Jesu aus dem Schluss des Matthäusevangeliums gelesen, in den evangelischen Kirchen steht jenes Gespräch im Zentrum, das Jesus nach Johannes 3, 1–15 mit dem Pharisäer Nikodemus bei Nacht geführt hat. Darin geht es in Rede und Gegenrede um die Frage einer Neugeburt aus Wasser und Geist, die allein den Zugang zum Reich Gottes ermöglicht und mit der die Taufe gemeint ist. Anschliessend weist Jesus auf seinen Kreuzestod hin, den er mit der erhöhten ehernen Schlange aus dem Alten Testament vergleicht (4. Mose 21, 8f.). Und so wie deren Anblick damals in der Wüste die Menschen vor dem Tod durch Schlangenbisse gerettet hat, so gilt auch jetzt die Verheissung, „dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben“.


O heilges Geist- und Wasserbad . BWV 165

Besetzung: Soli: S A T B, Coro: S A T B, Violino I/II, Viola, Fagotto, Continuo
Erstaufführung: 16. Juni 1715
Text: Salomo Franck 1715; 6. Ludwig Helmbold 1575
Anlass: Trinitatis

Die auf das Trinitatisfest gehörenden Kantaten gehen in unterschiedlicher Weise auf das alljährlich sich wiederholende Sonntagsevangelium ein. Unterschiedlich werden die Akzente gesetzt, und unterschiedlicher Art sind daher auch die von Bach vertonten Kantaten. Einen engen Bezug zum Evangelium hat die Kantate „Du heilges Geist- und Wasserbad“ (BWV 165) von Salomo Franck. Franck war Hofbibliothekar und Hofpoet in Weimar, und Bach vertonte seine Texte schon während seiner Zeit am Weimarer Hof. So ist die Kantate BWV 165 wahrscheinlich für das Trinitatisfest des Jahres 1715 entstanden. Wiederverwendung fand sie dann in Bachs Zeit als Leipziger Thomaskantor, und zwar wohl am 4. Juni 1724. Die Kantate besteht aus den drei Arien Nr. 1, 3 und 5 für Sopran, Alt und Tenor und aus den zwei dazwischen liegenden Rezitativen Nr. 2 und 4 für Bass. Dazu kommt als Nr. 6 ein vierstimmig gesetzter Schlusschoral. Das Gesamtinstrumentarium besteht nur aus Streichern und dem Generalbass, die aber sehr abwechslungsreich eingesetzt werden. In der Sopranarie Nr. 1 spielen alle Instrumente mit. In ihr wird das Geist- und Wasserbad der Taufe besungen, durch das die Einverleibung in Gottes Reich Wirklichkeit wird und den Menschen dank Tilgung aller Missetat ein neues Leben geschenkt wird. Bemerkenswert ist die Eleganz, mit der Bach die über weite Strecken fugierte Struktur des Orchestersatzes klanglich kaum erkennbar werden lässt. Das Secco-Rezitativ Nr. 2  für Bass („Die sündige Geburt verdammter Adamserben“) schildert zuerst in drastischen Worten die durch den Sündenfall verdorbene Existenz der Menschen, um dann in der Mitte die Wendung zu vollziehen: „O selig ist ein Christ, er wird im Geist- und Wasserbade ein Kind der Seligkeit und Gnade.“ Nur vom Continuo begleitet preist die Altstimme in der Arie Nr. 3 („Jesu, der aus grosser Liebe“) in beschwingtem 12/8-Takt die grosse Liebe Jesu, die sich in der rettenden Taufe manifestiert, und bittet sie um Hilfe bei der lebenslänglichen Erneuerung des Taufbundes. Im nachfolgenden Rezitativ Nr. 4 („Ich habe ja, mein Seelenbräutigam“) bekennt die Basstimme, diesen Bund oft gebrochen zu haben. Schuld daran ist der „alten Schlange Stich“, durch den Leib und Seele vergiftet wurden und werden. Die Bezeichnung des Teufels als „alte Schlange“ stammt aus der Johannesoffenbarung (20, 2), und es ist kein Zufall, dass Franck sie hier verwendet, erfolgt doch nach dem Sonntagsevangelium auch die Rettung durch die Schlange, d. h. durch die gläubige Erwählung des am Kreuz erhöhten „blutroten Schlangenbildes“. Das Rezitativ ist ausinstrumentiert mit ariosen Teilstücken. Mit ihnen hebt Bach alle wichtigen Aussagen hervor („hochheilges Gotteslamm“, „erbarme dich in Gnaden“, „der alten Schlange Stich“, „gläubig“, „blutrotes Schlangenbild“), und er lässt am Schluss beim Reden vom Vergehen aller Kraft alle Stimmen verstummen ausser dem Generalbass mit seinem letzten Einzelton in der Tiefe. Auch die Tenorarie Nr. 5, „Jesu, meines Todes Tod“, bleibt beim Bild der rettenden Schlange und redet von ihr als „meinem Heilschlänglein“, was Bach vielleicht in den musikalischen Figuren der obligaten unisonen Violinpartie abgebildet hat. Die Wahl des Schlusschorals – es ist die 5. Strophe („Sein Wort, sein Tauf, sein Nachtmahl, dient wieder allen Unfall“) des Liedes „Nun lasst uns Gott dem Herren danksagen und ihn ehren“ von Ludwig Helmbold – hängt mit den darin vorkommenden Begriffen „Taufe“ und „Geist“ zusammen: Rettung geschieht (neben Wort und Abendmahl) durch die Taufe im gläubigen Vertrauen auf die Hilfe des heiligen Geistes.


Es ist ein trotzig und verzagt Ding . BWV 176

Besetzung: Soli: S A B, Coro: S A T B, Hautbois I/II, Taille, Violino I/II, Viola, Continuo
Erstaufführung: 27. Mai 1725
Text: Christiane Mariane von Ziegler 1728; 1: Jeremia 17,9; 6: Paul Gerhardt 1653
Anlass: Trinitatis

Auch die Kantate „Es ist ein trotzig und verzagt Ding um aller Menschen Herze“ (BWV 176), die am Trinitatisfest des Jahres 1725 erstmals aufgeführt wurde, geht vom Evangelium aus Johannes 3 aus. Anders werden aber darin die Akzente gesetzt. So rückt die Dichterin Mariane von Ziegler ins Zentrum, dass der Pharisäer Nikodemus  bei der Nacht zu Jesus gekommen war. Die beiden Gesprächspartner Jesus und Nikodemus wissen ganz offensichtlich voneinander, nennt doch Nikodemus Jesus einen „Lehrer von Gott gekommen“ und Jesus umgekehrt den Nikodemus einen „Meister in Israel“. Nikodemus wird im Johannesevangelium noch zweimal erwähnt, und immer wird er als derjenige identifiziert, der bei Nacht zu Jesus gekommen ist (so in Joh. 7, 50 und 19, 39). In der Kantate BWV 176 wird dies als Ausdruck der Angst ausgelegt, wohl in einem ähnlichen Sinn, wie es bei Joseph von Arimathia heisst, dass er ein Jünger Jesu war, „doch heimlich aus Furcht vor den Juden“.

Die Kantate BWV 176 beginnt mit einem leicht abgeänderten alttestamentlichen Zitat aus Jeremia 17, 9: „Es ist ein trotzig und verzagt Ding um aller Menschen Herze“. Es wird von Bach als Chorfuge mit teilweise selbständigem Orchesterpart vertont, wobei im Thema Trotz und Verzagtheit, die beiden so grundverschiedenen menschlichen Eigenschaften, mit einem auffahrenden Lauf sowie einer kleinräumigen Seufzerfigur abgebildet sind. Im Rezitativ Nr. 2 für Alt wird nun aber der Akzent am Beispiel des Nikodemus ganz auf die Verzagtheit gelegt („Ich meine, recht verzagt, dass Nikodemus sich bei Tage nicht, bei Nacht zu Jesu wagt“). Dass er bei Jesus erst nach dem Untergang der Sonne erscheint, ist das genaue Gegenteil von jener alttestamentlichen Geschichte, da Gott auf die Bitte Josuas hin die Sonne einen ganzen Tag still stehen liess, damit die Israeliten die Amoriter besiegen konnten (Josua 10, 12-14):„Hier aber wünschet Nikodem: O säh ich sie zu Rüste gehen!“Auch die nachfolgende Sopranarie Nr. 3 („Dein sonst hell beliebter Schein“) spricht noch einmal von der Scheu, bei Tag zu Jesus zu kommen, anschliessend bezeugt sie aber auch, dass sie – wie Nikodemus – weiss, was das Wesen dieses Jesus ist: „Gottes Geist muss auf ihm ruhn.“ Bach hat diese Arie gavottenartig beschwingt vertont, und er lässt die Streicher ihre lebhaften Triolen spielen, auch wenn vom Ruhen des Geistes Gottes auf Jesus die Rede ist. Auch das Rezitativ Nr. 4 für Bass („So wundre dich, o Meister nicht“) knüpft noch einmal an die Furcht an, am Tag zu Jesus zu kommen, doch nun ist der Grund dafür noch ein anderer, die Angst nämlich, die eigene Ohnmacht könnte dadurch offenbar werden. Aber mit einem „doch tröst ich mich“ wird die Wendung zur Gewissheit vollzogen, zum Leben auf- und angenommen zu sein: „weil alle, die nur an dich glauben, nicht verloren werden.“ Dieses wichtige, paraphrasiert übernommene Wort aus dem Sonntagsevangeliums (Joh. 3, 15) fehlt bei Mariane von Ziegler. Vielleicht stammt die Einfügung von Bach selbst, der sie jedenfalls arios vertont hat, indem er das Secco-Rezitativ in ein Andante übergehen lässt. Die Arie Nr. 5 („Ermuntert euch, furchtsam und schüchterne Sinne“), bei der ein Gesamtinstrumentarium aus zwei Oboen und einer Oboe da caccia unisono mitspielt, ist dreiteilig. Im ersten Teil fordert die Altstimme die furchtsamen und schüchternen Sinne auf, sich zu erholen. Sie kann die Verzagtheit, von der sie im Rezitativ Nr. 2 geredet hat, verlassen; denn diese ist – so im zweiten Teil der Arie – durch das Versprechen Jesu aufgehoben, „dass ich durch den Glauben den Himmel gewinne“. Dort oben wird schliesslich mit Danken und Loben der Preis des Dreieinigen Gottes erklingen. Die Kantate endet mit einer Strophe aus Paul Gerhards Dreieinigkeitslied. So erklingt am Schluss der Lobpreis auf Gott Vater, Gott Sohn und Gott, den heiligen Geist. Deren Beziehung untereinander wird in der klassischen Dogmatik als "ein Wesen, drei Personen" – "una substantia, tres personae" definiert. Dadurch, dass der Choral auf die Melodie des Liedes "Christ, unser Herr, zum Jordan kam" gesungen wird, deren letzte Zeile fanfarenartig auf der höheren Oktave einsetzt, wird diese dogmatisch wichtige Aussage hervorgehoben.


Höchsterwünschtes Freudenfest . BWV 194

Besetzung: Soli: S T B, Coro: S A T B, Hautbois I-III, Violino I/II, Viola, Bassono, Continuo
Erstaufführung: 2. November 1723 (Orgelweihe)
Text: unbekannter Dichter; 6: Johann Heermann 1630; 12: Paul Gerhardt 1647
Anlass: Trinitatis

Die Entstehung der grossangelegten zweiteilige Kantate „Höchsterwünschtes Freudenfest“ (BWV 194) hängt mit der Störmthaler Kirch- und Orgelweihe im November 1723 zusammen. Im Jahr 1722 war die dortige alte Kirche teilweise abgerissen, anschliessend im barocken Stil wieder aufgebaut und zusammen mit einer neuen, von Bach am 2. November 1723 geprüften Orgel eingeweiht worden. Störmthal liegt im Leipziger Südraum, und in den 1980er Jahren war die Existenz des Ortes äusserst gefährdet gewesen, da die Erweiterung des Braunkohlenabbaus im Tagbau eine beschlossene Sache und die Abbaggerung des Ortes definitiv eingeplant war. Dass Dorf und Kirche heute überhaupt noch existieren, ist der politischen Wende von 1989 zu verdanken, durch welche die Kohlenförderung glücklicherweise gestoppt wurde.

Für die Einweihungskantate von 1723 hat Bach Teile einer früheren weltlichen Kantate verwendet, und die neue geistliche Kantate führte er später mehrmals wieder auf, und zwar jeweils am Trinitatisfest.* Das war deshalb möglich, weil Gott darin als der dreieinige Gott angerufen und verehrt wird. Der Inhalt der Kantate ist stark von der im Alten Testament erzählten Einweihung des Tempels in Jerusalem durch König Salomo und von dessen Tempelweihgebet geprägt (1. Könige 8). Der Kantatentext verläuft aber nicht geradlinig, sondern wechselt ständig zwischen den verschiedenen Vorstellungen vom Wohnort Gottes – im Himmel, im gebauten Heiligtum, im Herzen des Menschen – hin und her. Eine Empfehlung für das Hören der Kantate möge deshalb sein, sich durch die Rezitative jeweils auf das Thema der nachfolgenden Arie einstimmen zu lassen, um dann – unterstützt durch die Musik – über deren Inhalt nachzusinnen. Dies ist in der Bassarie Nr. 3 der Glanz Gottes, dessen heiliges Wesen die von ihm erwählte Wohnung ganz erfüllt („Was des Höchsten Glanz erfüllt, wird durch keine Nacht verhüllt“). In der Sopranarie Nr. 5 („Hilf, Gott, das es uns gelingt“) wird um die Reinigung der Lippen durch das Feuer Gottes gebeten, damit die ganze Person geheiligt werde, wie dies damals beim Propheten Jesaja mit einem Stück glühender Kohle vom Altar durch einen Engel geschah (Jesaja 6, 6f.). In der Tenorarie Nr. 8 („Des Höchsten Gegenwart allein“) wird die Gegenwart Gottes – im Gegensatz zur Welt mit ihrer vergänglichen Pracht – als der alleinige Ursprung aller Freuden gerühmt. Und im Duett Nr. 10 für Sopran und Bass („O wie wohl ist uns geschehn“), dem im Rezitativ Nr. 9 ein langer, siebenteiliger Dialog über Glaubenszweifel und Glaubensgewissheit voran geht („Kann wohl ein Mensch zu Gott in Himmel steigen?“), wird der Freude darüber Ausdruck gegeben, dass Gott sich ein Haus ausersehen hat. Es ist auffällig, wie sehr alle diese Arien Tanzcharakter haben. So steht die Arie Nr. 3 im 12/8-Takt und die Arien Nr. 5, 8 und 10 erinnern an die Gavotte, die Gigue und das Menuett. Das hängt wohl mit der weltlichen, vielleicht für den Köthener Hof bestimmten Urform der Kantate zusammen, deren Anlass zwar nicht mehr bekannt ist, der aber als ein freudiger angenommen werden kann. Und festlich-freudig ist nun auch der Eingangssatz der Kantate, der ebenfalls bereits Bestandteil der weltlichen Kantate gewesen war. Er hat die Form einer französischen Ouverture, bei der das Gesamtinstrumentarium mit drei Oboen, Streichern und Generalbass mitspielt und in deren fugierten Mittelteil der Chor eingebaut ist, wobei als Besonderheit der Chor in das gravitätische Orchesternachspiel nochmals sein „Höchsterwünschtes Freudenfest“ hineinruft. Beendet werden die beiden Teile der geistlichen Kirch- und Orgelweih-Kantate anders als bei der weltlichen Fassung mit je zwei vierstimmig gesetzten Choralstrophen („Heilger Geist ins Himmels Throne“; „Sprich Ja zu meinen Taten“), bei denen die 3. Oboe teilweise selbstständig ist.

Helene Werthemann

 

* Zur verwickelten Entstehungs- und Fassungsgeschichte des Stückes vgl. NBA I/31, Krit. Bericht (F. Rempp, 1988) und NBA I/35 (A. Dürr, 1964), S. 143 ff.  Damit im Zusammenhang steht die extrem hohe Lage der Vokalpartien, so dass die Kantate für Aufführungszwecke in der Regel transponiert werden muss. Inwieweit auch Bach schon die Orgel auch teilobligat einsetzte, ist von der späteren Überlieferung her nicht eindeutig zu entscheiden.