Bachkantaten in der Predigerkirche
 
   
   

Ich bin in mir vergnügt (BWV 204)

Johann Sebastian Bachs weltliche Kantaten erinnern auf manchmal unbequeme Weise an den Gebrauchscharakter von Musik. Zwar haben auch seine geistlichen Kantaten eine klare Funktion im sonntäglichen Gottesdienst, aber die Anlässe für oftmals weitgehend gleich gestaltete weltliche Kantaten scheinen aus heutiger Sicht manchmal banal. Vielleicht deshalb bekundete die Bach-Forschung einige Mühen mit diesen Werken, sofern sie nicht attraktive Gegenstände (wie beispielsweise die "Kaffee-Kantate" BWV 211) behandeln …  In jedem Fall kann dies für die von Bach auch als "Von der Vergnügsamkeit" bezeichnete Kantate gelten, der in der Literatur etwa vorgeworfen wurde, es handele sich um ein "kontrastarmes Loblied auf das Mittelmaß" (Hans-Joachim Schulze). Im Vergleich allerdings etwa zur Hochzeitskantate "Vergnügte Pleissenstadt" (BWV 216), in der Bach 1728 den Schluss-Satz unserer Kantate wiederverwendete und mit neuem Text versah, ist in der ursprünglichen Fassung viel Gehalt zu entdecken (so heisst es dort beispielsweise statt "Himmlische Vergnügsamkeit" nun "Angenehme Hempelin", da die Braut Susanna Regina Hempel hiess …).

Der genaue Anlass für die 1726 oder 1727 Kantate "Ich bin in mir vergnügt" ist unbekannt. Es könnte sich um einen privaten Anlass in der weitverzweigten Familie Bachs handeln, vielleicht aber auch eine Auftragskomposition für das Leipziger Collegium Musicum, in dem solche moralisierenden Textvertonungen eine letztlich den geistlichen Kantaten vergleichbare Funktion hatten. Die Textvorlage stammt aus dem 1713 erstmals publizierten Gedichtband Menantes Academische Neben-Stunden allerhand neuer Gedichte / Nebst einer Anleitung zur vernünftigen Poesie von Christian Friedrich Hunold (alias Menantes). Allerdings wurde der dort mit "Cantata von der Zufriedenheit" überschriebene Text umgestellt und um weniger kunstvoll gebaute Textteile erweitert, bis schliesslich eine Folge von acht Sätzen im Wechsel von Rezitativ und Arie entstand. Im Grossen und Ganzen geht es vor allem um das Lob eines bescheidenen und genügsamen Lebens – das alte Wort "Vergnügsamkeit" steht sowohl für Genügsamkeit wie aber auch bescheidene Annehmlichkeit –, das musikalisch sehr abwechslungsreich in Szene gesetzt wird. Diese Vielfalt zeigt sich in den gewählten musikalischen Formen wie in einer von zwei Oboen begleiteten Da capo-Arie im Stile eines "Siciliano" (Nr. 2), ein mit zwei Violinen accompagniertes Rezitativ (Nr. 3), einer von einer Solovioline (Nr. 5) bzw. einem Traverso begleiteten Arie (Nr. 6), einem zweiteiligen Rezitativ mit liedhaftem Arioso-Teil (Nr. 7) bis zur abschliessenden Arie, in der die volle Besetzung agiert (Nr. 8). Sie zeigt sich aber auch im Detail (wie melodische und rhythmische Gestaltung) bis hin zur Vertonung von zentralen Textworten – man achte auf die gedehnten Töne (etwa zu "ruhig"), auf die Dehnungen von melodischen Figuren (etwa zu "grösstem Schatz" oder zu "weiter Erde") oder in Form von Melismen (etwa zu "Wollust"), auf die Dissonanzen (etwa zu "Grillen" oder "Verdruss") usw. Bach bemühte sich also ganz offensichtlich, die in vielen und reichen Wortbildern ausgebreitete 'Vergnügsamkeit' musikalisch ebenso abwechslungs- und facettenreich zu vertonen – woraus sich wiederum die interpretatorische Vorgabe ergibt, trotz allem virtuosen Gepränge die Textverständlichkeit in den Vordergrund zu stellen.

Denn neben dem Lob auf die "Vergnügsamkeit" hält der Text auch eine andere Botschaft bereit, nämlich den Hinweis auf die Vergeblichkeit materiellen Strebens wie auf die Vergänglichkeit irdischer Güter (etwa im dritten Rezitativ, "Ihr Seelen, …", und der darauffolgenden Arie "Die Schätzbarkeit der Welt") und dass letztlich nur das Vertrauen in die "himmlische" oder "göttliche Vergnügsamkeit" eine Lösung darstellt – und das kann ja nicht oft genug gesagt werden.

 

Jauchzet Gott in allen Landen (BWV 51)

Die vergleichsweise kurze und mit nur vier Sätzen auch kleinformatige Kantate "Jauchzet Gott in allen Landen" für Sopran, Trompete, Streicher und Basso continuo wurde von Johann Sebastian Bach vermutlich für den 17. September 1730 geschrieben, allerdings gibt es kaum Bezüge zu den üblichen Lesungen an diesem "Domenica 15 post Trinitatis". Auf der erhaltenen Partitur findet sich auch die Bezeichnung "et In ogni Tempo" – diese Kantate sei auch bei anderen Gelegenheiten zu verwenden, sei es an anderen Sonntagen oder sei es vielleicht auch ausserhalb eines kirchlichen Rahmens. In Zusammenhang zu den ausserordentlichen Anforderungen, die hier hinsichtlich Beweglichkeit, Ausdauer und Ambitus (mehrfach bis zum dreigestrichenen c als Spitzenton geführt) an den Solosopran gestellt werden, erging sich die Forschung in vielerlei Vermutungen (hinsichtlich der Besetzung mit einem Knabensopran oder einem Falsettisten, oder vielleicht doch einer Frauenstimme oder auch einem Kastraten) und spekulierte dem entsprechend um eine Aufführung im Leipziger Collegium Musicum oder auch ausserhalb Leipzigs, etwa am Dresdner oder Weissenfelser Hof. Dem sei wie es wolle: Johann Sebastian Bach zeigt in dieser Kantate die ganze Palette des Gotteslobs, auf der einen Seite mit einem prunkvollen Lob sozusagen "mit Trompeten und Pauken" bis zum – allerdings kaum schlicht zu nennenden – Choralvortrag auf der anderen Seite.

Der erste Satz ist ein auskomponierter Jubilus, hier allerdings "cum verbis", eine Aufforderung zum lobenden Jauchzen über Gottes Wunder und seine segensreichen Taten. Zugleich handelt es sich um eine Art 'Herrscherlob', das üblicherweise mit Trompeten und Pauken ausgeführt wurde. Während Bach sich hier mit nur einer Trompete begnügt, ergänzte Wilhelm Friedemann Bach für eine spätere Aufführung folgerichtig eine weitere Trompete samt Pauken.

Am Beginn der instrumentalen Einleitung steht eine eröffnende Fanfare, aus deren charakteristischen Figuren (melodisch in den Dreiklangsfiguren und rhythmisch in den Tonrepetitionen) sich die weiteren Motive ableiten lassen. Das Unisono aller Instrumente fächert sich alsbald auf und die führende Trompete löst sich aus dem Satz, um mit einem lang ausgehaltenen Triller den kaum mehr zurückzuhaltenden Jubel auszudrücken. Dieser ist noch wortlos, erst der dann einsetzende Sopran gibt ihm eine Sprache: Jauchzet Gott in allen Landen! Die ausgesprochen virtuose Partie der Trompete in Clarinlage tritt in einen Dialog mit der ebenso virtuos geführten Singstimme.

Im Text ist aber nicht nur vom Lob die Rede, es wird auch die Gegenleistung der Menschen eingefordert ("Und wir wollen unserm Gott gleichfalls itzt ein Opfer bringen, dass er uns in Kreuz und Not allezeit hat beigestanden"). Entsprechend wechselt die Musik die Faktur, die bis dahin dominierende Trompete schweigt, allerdings nur bis zur bestätigenden Wiederholung des anfänglichen Jubelrufs.

Abrupt folgt der grösstmögliche Kontrast: Im anschliessendem Satz wird dem gerade erklungenem strahlenden Dur-Klang ein kleinmütiges Moll gegenübergestellt, der prachtvolle Fanfarensatz ändert sich in ein mit Bogenvibrato der Streicher begleitetes Rezitativ, statt der glänzenden Clarin-Trompete erklingt die Sopranstimme mit einem bemerkenswerten Einsatz einer aufsteigenden Sexte. Erinnert die erste Hälfte auch textlich noch an einen Choral ("Wir beten zu dem Tempel an, da Gottes Ehre wohnet, da dessen Treu, so täglich neu, mit lauter Segen lohnet. Wir preisen, was er an uns hat getan."), ändert sich die Faktur daraufhin abermals: Passend zu dem im Text genannten "schwachen Mund", der angesichts der göttlichen Wunder nurmehr lallen kann, wird die Singstimme nur noch von der Continuogruppe begleitet, die Schwäche zeigt sich in verminderten Intervallen und Dissonanzen, das Lallen in rhythmisch komplizierten Melismen. Nach dem uneingeschränkten, ja fast pompösen Aufruf zum Jubel im ersten Satz wird hier nun deutlich gemacht, dass Gott auch ein viel schlichteres Lob gefällt.

Eingelöst wird dies aber (noch) nicht in der darauf folgenden Arie ("Höchster, mache deine Güte …"). In der wiederum kleinstmöglichen Besetzung von Sopran und Continuogruppe wird im arios gehaltenen Zwölf-Achteltakt (was einen tänzelnden Gestus ergibt) der Singstimme eine Bühne gegeben, auf der sie ihre Künste entfalten darf. Gleichwohl steht auch hier durchaus der Text im Vordergrund, was sich bereits im emphatisch vorgetragenen "Höchster" zeigt. Neben der Bitte um künftige Treue ist vor allem der abschliessende Hinweis auf das unabdingbare fromme Leben wichtig, mit dem die Liebe Gottes verdient werden kann und welches eben das geforderte schlichte Lob darstellt.

Auch der Choral zum Abschluss ist keinesfalls ein schlicht gehaltenes Gotteslob: Zwar bietet die Singstimme die unverzierte Choralmelodie ("Sei Lob und Preis in Ehren …"), sie ist aber eingebettet in einem aktiven Satz von zwei miteinander konzertierenden Soloviolinen. Im zweiten Teil folgt ein ausgedehntes, vielfach wiederholtes und so bestätigendes "Alleluja", vergleichbar dem Eingangssatz wieder mit der alles überragenden Trompete.

Martin Kirnbauer