Bachkantaten in der Predigerkirche |
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Einführung in die Kantaten vom 12. September 2010 Was Gott tut, das ist wohlgetan Aus dem Lied spricht eine grenzenlose Zuversicht und ein absolutes Gottvertrauen. Eine solche Haltung der Ergebenheit kommt uns auch im Bild der Vögel am Himmel oder der Lilien auf dem Felde entgegen. Bach entscheidet sich dafür, die beiden Eckstrophen unverändert zu übernehmen. Die vier inneren Verse sind eine freie Umdichtung unter weitgehender Beibehaltung der originalen Reime. Ein choralkundiger Gottesdienstbesucher wird ohne weiteres sofort die entsprechenden Choralverse wiedererkannt haben. Konzertierende Motette Erschüttere dich nur nicht Auch das zweite Rezitativ fliesst in ein Arioso, das durch das lange Melisma auf dem Worte "erscheinet" deutlich macht, dass sich der verborgene Sinn des Leides erst nach und nach erschliesst. Auf diese tröstliche Kadenz in D-Dur könnte nun der Schlusschoral folgen. Trotzdem schleichen sich immer wieder Zweifel ein, ob der eingeschlagene Kreuzweg wirklich der richtige sei. Wie Jesus auch in der Bergpredigt verschiedene Bilder verwendet, um den Jüngern die Haltung der Gelassenheit zu vermitteln, doppelt Bach mit Satz 5 nach: Im Sinne einer confutatio, einer Beschäftigung mit den Gegenargumenten, fügt er hier ein eindrückliches Quintett für zwei Holzbläser, Sopran, Alt und Basso continuo ein. Das Thema drückt sich gleichsam schmerzhaft klopfend ins Ohr und bleibt in einer Septimdissonanz hängen, bevor es durch den Einsatz der nachfolgenden Stimme "erlöst" wird. Im weiteren Verlauf gibt es wenig Tröstliches; ja, es wird geradezu unerträglich aber auch unausweichlich, sich diesem absoluten Nullpunkt auszuliefern. Nur für kurze Momente – in der Darstellung des "künftig Ergötzlichen" – wendet sich der harmonische Verlauf in die Richtung von Dur-Tonarten und lässt erahnen, dass die Kantate ja eigentlich zuversichtlich begonnen hat. Ein reich bewegter, aber fröhlicher Choralsatz, bei dem wie auch im Eingangssatz der cantus firmus durch ein Corne – gemeint ist vermutlich eine Tromba da tirarsi oder ein Cornetto – eine stärkere Leuchtkraft bekommt, schliesst diese Kantate ab.
Wilhelm Friedemann Trotz der wenigen Dokumente aus dem Familienleben Bachs zeigen die erhaltenen Musikalien wie z.B. das für den 9-jährigen angelegte Clavier-Büchlein, dass Vater Bach seinem Erstgeborenen eine grundlegende und äusserst anspruchsvolle Musikausbildung angedeihen liess. Zudem scheint Friedemann schon früh in die musikalische Arbeit seines Vaters einbezogen worden zu sein. Die ganze Familie und fähige Schüler mussten Woche für Woche beim Anfertigen der Kantatenstimmen mithelfen. Friedemanns Tätigkeit in diesem Rahmen ist ab 1724 belegt. Nach dem Unterricht an der Thomasschule studierte er zunächst Jura, Philosophie und Mathematik an der Universität Leipzig. Seine musikalischen Studien führte er mit Geige bei Johann Gottlieb Graun in Merseburg fort. Als Organist wirkte er ab 1733 an der Sophienkirche in Dresden, bevor er 1746 an die Liebfrauenkirche zu Halle wechselte, wo er mehr als doppelt so viel verdiente. Zu seinen Aufgaben gehörte ab jetzt auch die regelmässige Komposition von Figuralmusik. Aus dieser Zeit sind 21 Kantaten erhalten; vermutlich hat er jedoch weit mehr komponiert. Zudem soll er mehrfach Kompositionen seines Vaters ausgeliehen und in Halle aufgeführt haben. Dass dies durchaus nichts Anrüchiges und unter den Kantoren im mitteldeutschen Raum weit verbreitet war, zeigt eine aktuelle Studie von Michael Maul. Ab und an scheint Friedemann allerdings auch wegen Parodien auf Werke seines Vaters des Plagiats bezichtigt worden zu sein, wie Friedrich Marpurg in einer Anekdote berichtet. Wiederholte Streitigkeiten an seinem Arbeitsplatz in Halle veranlassten Wilhelm Friedemann 1764 zur Kündigung. Die restlichen Lebensjahre verbrachte er unstet mit erfolglosen Bewerbungen um verschiedene Organistenstellen. Diese Erfolglosigkeit wurde in den Bewerbungsprotokollen bisweilen seinem schwierigen Charakter zugeschrieben. Andererseits erwarb er sich in zahlreichen Orgelkonzerten vor allem gegen Ende seines Lebens den Ruhm, der "grösste lebende Orgelvirtuose und Improvisator" gewesen zu sein. Carl Friedrich Cramer beklagt bei seinem Tod 1784, Deutschland habe "in ihm seinen ersten Orgelspieler und die musikalische Welt überhaupt einen Mann verloren, dessen Verlust unersetzlich ist". Erzittert und fallet Die Kantate ist in der autographen Partitur und autographen Stimmen erhalten. Aus dem Stimmenbefund lässt sich erkennen, dass die Chöre mehrfach besetzt waren. Wilhelm Friedemann bedient sich einer (scheinbar) grossen Orchesterbesetzung von 2 Trompeten, Pauken, Traversi, Oboen, Streicher, Fagott und Basso continuo. Offenbar hatte er in dieser Kantate aber nur zwei Bläser zur Verfügung, die jedoch in der Lage waren, nacheinander Trompete, Traversflöte und Oboe zu spielen. In unserer Aufführung werden die Bläserstimmen in den Chorsätzen teilweise verdoppelt. Durch den Verzicht auf ein Orchestervorspiel im Eingangschor und den unbegleiteten Choreinsatz gelingt es Bach, plastisch und unmittelbar packend die österlichen Urkräfte zu entfesseln. Erzittern, fallen, brausen: Die musikalischen Figuren gleichen hier Erdstössen und Blitzen; alles wirbelt durch die Luft. Bläserfanfaren kündigen den Lebensfürsten an, der sich im B-Teil von einer Wolke umgeben zeigt. Dabei dienen die ausgreifenden Arpeggio-Figuren der Streicher sowohl der Darstellung der rauschenden Wolken, als auch der Erinnerung an die Schläge und die Verspottung Christi. Trotz der starken Dramatik baut Friedemann keine überraschenden Fermaten oder Trugschlüsse ein; d.h. er reisst die Musik nicht auseinander, sondern bewahrt mittels der Da-Capo-Form eine Eindringlichkeit der Aussage, die den Hörer nach 140 Takten an einen Punkt führt, wo er aufgewühlt und fragend am leeren Ostergrab steht. In dieser grösstmöglichen Offenheit lässt Bach zwei Traversi eine heiter-schmeichelnde Arie für Tenor und Basso continuo beginnen. Jesus, der Siegesfürst zeigt sich nun als nahbare Person mit menschlichen Attributen: sanfte, reizende Blicke, deren Lieblichkeit Friedemann durch neckische Triolen in Terzenparallelen vertont. In einem Doppelrezitativ verkündet zunächst der Tenor wie ein Evangelist – begleitet von kämpferischen Bassfiguren – die Osterbotschaft, bevor der Sopran als menschliche Seele das daraus entstehende innerliche Vergnügen hervorhebt. Das folgende Liebesduett für Oboe (d'amore), Sopran (Seele) und hohen Bass (Christus) bildet den Mittel- und Ruhepunkt dieser Kantate. Wilhelm Friedemann wird wohl etliche Stücke seines Vaters in diesem Genre der Brautmystik in Erinnerung gehabt haben. Aber er geht noch einen Schritt weiter im melodischen Gestus und führt die sehnsuchtsvollen, aufwärts gebundenen Motive ("Komm, mein Hirte - Ja, ich komme") nicht nur bis zur Sexte wie sein Vater, sondern sogar bis zur Duodezime (d.h. über ein Intervall von 12 Tönen). In anschaulicher Symbolik lässt er den Bass in seiner Schlussfigur zu den Worten "mein Erbarmen eilt zu dir" eine Tonleiter abwärts singen, während der Sopran gleichzeitig in Gegenbewegung aufsteigt: "Meine Sehnsucht eilt zu dir". So gestärkt stellt sich die Seele in einem weiteren, stark modulierenden Doppelrezitativ mutig dem Tod entgegen. In diesen Ton stimmt auch der Alt als Letzter mit ein. Kleine musikalische Figuren bilden das Lachen und die am Stein zerschellenden Wellen ab. Daran schliesst sich die von zwei Violinen begleitete Sopranarie an, eine virtuose Bravourarie, die bis ins h2 hinaufführt und den schäumenden Wellen und Schreckensflammen die durch Christus gewonnene innere Ruhe entgegenstellt. Unweigerlich mag man hier an die entsprechende Stelle in der Bachmotette "Jesu, meine Freude" denken: "Tobe, Welt, und springe, ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh". Den Abschluss bildet der kraftvolle, aber schlicht gesetzte Osterchoral "Heut triumphieret Gottes Sohn". Der von der Osterbotschaft ergriffene Mensch gliedert sich ein in die Gemeinschaft der lobenden und dankenden Jünger. Jörg-Andreas Bötticher |
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