Bachkantaten in der Predigerkirche
 

Text zu den Bach-Kantaten in Basel am 10. August 2008

"Lobe den Herren, meine Seele" (BWV 69a)

Dominica XII post Trinitatis - komponiert für den 15. August 1723
Epistel: 2. Korinther 3, 4 - 11, Evangelium: Markus 7, 31 - 37

Chor uns Solisten, 3 Trompeten, Pauken, 3 Oboen,
Streicher und B.c.
1. Chorus: "Lobe den Herren, meine Seele"
2. Recitativo: "Ach daß ich tausend Zungen hätte"
3. Aria: "Meine Seele, auf, erzähle"
4. Recitativo: "Gedenk ich nur zurück"
5. Aria: "Mein Erlöser und Erhalter"
6. Choral: "Was Gott tut, das ist wohlgetan, darbei will ich verbleiben"

Die Kantate "Lobe den Herren, meine Seele" (BWV 69a) fällt in das erste Amtsjahr Bachs als Thomaskantor in Leipzig, das er offiziell am Ersten Sonntag nach Trinitatis am 30. Mai 1723 mit der Aufführung der gross angelegten Kantate BWV 75 ("Die Elenden sollen essen") begonnen hatte. Die Acta Lipsiensium academia, eine Leipziger Chronik, berichtete hierzu, dass "der neue Cantor [...] Joh. Sebastian Bach [...] mit gutem applausu seine erste Music" aufführte. Das klingt nicht gerade enthusiastisch, und in Leipzig hätte man sich damals für die Stelle des Thomaskantors gerne einen Mann vom Range Telemanns vorgestellt. Bach, der nach seinen erfüllten Jahren als Musikalischer Leiter am Hofe zu Köthen nicht ohne innere Zweifel zum Amte eines Kantors wechselte, wurde sich dann auch im Laufe seiner Amtsjahre in Leipzig bewusst, dass es sich mit der hier herrschenden Obrigkeit nicht immer einfach zusammen arbeiten liess. Als Angestellter eines Hofes oder der Kirche war man als Komponist in der Barockzeit - und das ist ja heute auch nicht anders - auch immer an Vorgaben der Arbeitgeber gebunden, und dass hier künstlerische Vorstellungen mit pragmatischen Fragen in Einklang gebracht werden müssen beinhaltet von vornherein ein gewisses Konfliktpotenzial.

In den ersten Amtsjahren ist hiervon aber bei Bach noch nichts zu spüren, mit grossem Arbeitseifer und Elan geht er an die Fertigung seines ersten Kantatenjahrganges, zu der die Kantate 69a gehört. Sie ist zum Zwölften Sonntag nach Trinitatis, dem 15. August 1723, entstanden und wurde von Bach später mehrfach wieder verwendet und umgestaltet aufgeführt. In der Epistel zu diesem Sonntag aus dem Zweiten Brief des Paulus an die Korinther (2. Korinther 3, 4-11) geht es um die Herrlichkeit der neuen Botschaft der Gerechtigkeit, die nicht den Buchstaben nach sondern dem Geiste nach lebendig wird. Regeln oder Gesetze um ihrer selbst willen und bloss dem Wort nach gelesen seien falsch verstanden: "Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig" (Vers 6). Das Evangelium (Markus 7, 31-37) berichtet von der Heilung eines Taubstummen, dem Jesus durch Fingerauflegung die Ohren öffnet und die Zunge löst: "Er hat alles wohl gemacht; die Tauben macht er hören und Sprachlose reden" (Vers 37), Gottes Grösse wird hier also anhand der Herrlichkeit des Geistes und des Wunders der Taubstummenheilung wunderbar dargestellt, und ebenso prachtvoll setzt Bach dies dann auch in Musik um: Eine Besetzung mit 3 Trompeten, Pauken, 3 Oboen und Streichern mit dem obligatorischen Basso Continuo spricht für sich, und dies immerhin an einem gewöhnlichen Sonntag im Kirchenjahr.

Der Eingangschor (1) ist ein gross und symmetrisch angelegter Satz, eingerahmt von einer instrumentalen Sinfonie, dessen Mittel- und Höhepunkt eine ausladende Doppelfuge bildet. Dem Dualismus des Textes folgend - "Lobe den Herren, meine Seele" / "und vergiss nicht, was er Dir Gutes getan" - gestaltet Bach zwei im Affekt unterschiedlich angelegte Themen: Das erste in gleichsam von der Herrlichkeit des Geistes beschwingten Sechzehntelfiguren, die beständig aufwärts streben, und das zweite in ruhigeren Achteln und Vierteln, die dadurch dem Nachdenken und sich Zurückbesinnen Raum geben. Beide Themen werden zuerst einzeln, und dann zusammen verarbeitet.

Das daran anschliessende Recitativo (2) bezieht sich auf das Evangelium - "Ach, dass ich tausend Zungen hätte!" - wobei der Textdichter den Gläubigen dazu ermahnt, den Mund zu allererst zum Lobe Gottes zu öffnen, sich "eitler Worte zu enthalten" und dann doch lieber stumm zu bleiben.

Die folgende Tenor-Arie (3) "Meine Seele, auf erzähle, was dir Gott erwiesen hat!" ist in seiner Besetzung mit Flauto dolce und Oboe da caccia klanglich zart angelegt. Die in einem 9/8tel Takt aufwärts strebenden Figuren symbolisieren den von der Herrlichkeit des Geistes beflügelten Lobpreis in einer nach innen gerichteten Betrachtung der Seele - im Gegensatz zum prächtigen Eingangschor. Und hier zeigt sich einmal mehr Bachs feines Gespür für den spannungsreichen Aufbau einer Kantate (man könnte sich den gleichen Text sicher auch kräfiger besetzt und mehr nach äusserlichem Affekt gerichtet vertont vorstellen).

Es folgt ein Recitativo (4), vom Alt gesungen - der bei Bach bevorzugten Stimmlage für Seelen- oder Geistesbetrachtungen. Gottes Größe und Liebe wird hier als so unermesslich gross dargestellt - "so kann ich deine Wunder, Herr, so wenig als die Sterne zählen" - dass der Mund zum Lobpreis zu schwach dafür sei, und nur durch Gottes Nähe und Zuspruch - "und sprich Dein kräftig Hephata" - mit Dankbarkeit erfüllt wird. Diesen Dank stellt Bach, aus dem freien Secco heraus, in drei ariosen Takten dar: Die von oben absteigenden Bassfiguren in Sechzehnteln über dreimal sieben Töne mögen den göttlich vollkommenen und umfassenden Zuspruch (Sieben) durch den Geist (Drei) symbolisieren, der so auf uns Menschen herab kommt.

Die zweite Arie (5) "Mein Erlöser und Erhalter, nimm mich stets in Hut und wacht" ist mit Bass, einer obligaten Oboe d'amore und Streichern besetzt. Die Bitte um den göttlichen Beistand, auch und gerade in schwereren Zeiten - "Steh mir bei in Kreuz und Leiden" stellt Bach in einem vom punktierten Rhythmus vorangetriebenen 3/4tel Takt dar (die Sicherheit des Beistandes), der von triolischen Figuren unterwandert wird (die Unsicherheit und das Leiden, zusätzlich mit Chromatik angereichert) und so beständig nach energetischem Ausgleich sucht. Das ist Bachsche Rhetorik von wunderbar subtiler und meisterlicher Art.

Der beschliessende Choral (6) bekräftigt das sichere Vertrauen auf Gottes väterliche Zuwendung und seinen Plan: "Drum lass ich ihn   nur walten."

"Lobe den Herren, den mächtigen König" (BWV 137)

Dominica XII post Trinitatis - komponiert für den 19. August 1725
Chor und Solisten, 3 Trompeten, Pauken, 2 Oboen, Streicher und B.c.

1. Chorus: "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren"
2. Aria: "Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret"
3. Aria (Duett): "Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet"
4. Aria: "Lobe den Herren, der deinen Stand sichtbar gesegnet"
5. Choral: "Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen"

Im Gegensatz zu der für den gleichen Sonntag im Kirchenjahr komponierten Kantate BWV 69a (s.o.) ist BWV 137 eine Choralkantate. Diese hat die fünf Strophen des gleichnamigen Chorals von Joachim Neander zum Ausgangspunkt, den dieser in seinem Todesjahr 1680 gedichtet hat und den Bach für seine Kantate unverändert übernimmt. Die Choralmelodie gibt es in einer Stralsunder Fassung von 1665 und einer Hallensischen Variante von 1741. Die Melodie des Chorals ist in allen Sätzen präsent und für Bachs Motive und melodische Figuren in mannigfaltiger Weise Ausgangspunkt und Basis. Die Besetzung ist ebenso prachtvoll wie in Kantate 69a, der theologische Bezug zu Epistel und Evangelium gestaltet sich hier jedoch allgemeingültig und weniger exegetisch.

Die erste Strophe "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren" (1) in der vollen Besetzung komponiert Bach als Choralfantasie mit konzertantem Anstrich in C-Dur, festlich bestimmt und melismatisch aufgelockert bildet dies die Basis für den nach jeweils instrumental und vokal einführenden Verarbeitungsteilen einsetzenden Choral im Sopran.

Rezitative fehlen in dieser Kantate, die zweite Strophe "Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret" (2) ist mit "Aria" bezeichnet - in G-Dur und dem Cantus firmus im Alt - und dürfte Organisten bestens bekannt sein: Bach hat diesen Satz in einer Bearbeitung für Orgel in seiner allgemein als "Schübler-Choräle" bezeichneten Sammlung von Sechs Chorälen (BWV 650)   in seinen letzten Lebensjahren beim Verleger Johann Georg Schübler "zu Zella am Thüringer Walde" im Druck herausgeben lassen - als übrigens einer der wenigen Musikdrucke Bachs zu dessen Lebzeiten. In der Aria konzertiert eine Solo-Violine mit arpeggierenden Umspielungsfiguren - die den Choral paraphrasieren - über dem figurativ und verziert bereicherten Choral des Alt.

Das sich daran anschliessende und ebenso als "Aria" bezeichnete Duett "Lobe den Herren, der künstlich und fein Dich bereitet" (3) für Sopran und Bass zu zwei Oboen steht in der zu dem vorausgehenden Stück parallelen Tonart e-Moll. Sänger und Oboen alternieren grösstenteils im Einsatz und sind jeweils zu Beginn kanonisch verarbeit. Hierbei werden Textstellen wie etwa"Lobe den Herren" oder "in wie viel Not" rhetorisch ausgedeutet, das erstere z.B. durch ein freudiges daktylisches Motiv, das zweite durch Chromatik.

Die vierte Strophe "Lobe den Herren, der deinen Stand sichtbar gesegnet" (4) ist für Tenor und ein reichhaltig figuriertes Continuo mit dem Choral in der Solo-Trompete besetzt und steht in a-Moll. Die grösstenteils abwärts gerichteten Linien im Continuo leiten sich ab von der Textstelle "der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet", die lange Schlusskoloratur im Tenor in Sechzehnteln - von jeweils drei Halben Noten unterbrochen - zu dem Text "der dir mit Liebe begegnet" mag einerseits die Freude über die liebevolle Zuwendung des Allmächtigen und alles Könnenden und gleichzeitig den Wunsch nach deren ewig anhaltenden Dauer versinnbildlichen.

Der mit voller Besetzung abschliessende Choral "Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen" (5) in strahlendstem C-Dur beschliesst eine Kantate, in der der stets dem Glauben zugewandte Bach seine Kunstfertigkeit in Variation und Bearbeitung des lutherischen Chorals - Basis und Ausgangspunkt für Kompositionen Zeit seines Lebens - einmal mehr ideenreich und kunstvoll unter Beweis stellt.

Markus Märkl
18.06.2008