Bachkantaten in der Predigerkirche |
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Im heutigen Konzert erklingen zwei Kantaten, die demselben Jahrgang angehören. Es sind beides Choralkantaten, d.h. ihre textliche Grundlage wird durch ein Kirchenlied gebildet, dessen Strophen zum Teil wörtlich beibehalten, zum Teil von einem unbekannten Kantatendichter in Rezitative und Arien umgedichtet wurden. Sie gelangten am 2. Februar 1725 am Fest Mariä Reinigung und am 4. Februar am Sonntag Sexagesimä in Leipzig zum ersten Mal zur Aufführung. Die Lieder, die ihnen zu Grunde liegen, stammen beide von Martin Luther. Sie sind von ihm aus unterschiedlichem Anlass gedichtet worden, das Lied "Mit Fried und Freud ich fahr dahin" als Nachdichtung des neutestamentlichen Lobgesangs Simeonis, des Altvaters "Nunc dimittis", das Lied "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort" als Gebetslied in akuter Kriegsnot. Beide Lieder haben in der lutherischen Kirche eine wichtige Rolle gespielt und sind gerade auch für die Kirchenmusik von grosser Bedeutung geworden. |
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Luthers Umdichtung von Simeons Lobgesang umfasst vier Strophen, von denen drei in der Kantate BWV 125 im Wortlaut beibehalten worden sind. Die erste Strophe ist als grossangelegter Chorsatz gestaltet, bei dem der cantus firmus im Sopran liegt. Der Satz ist in einem wiegenden 12/8-Takt geschrieben, der Frieden, Freude, Getrostheit ausstrahlt oder vielleicht richtiger gesagt, den Menschen in diese Atmosphäre mit hineinnimmt. Unüberhörbar bleibt dabei, dass die Worte sanft und stille sowie die Schlusszeile Der Tod ist mein Schlaf worden in ganz besonderer Weise vertont wurden. Der Tod als Schlaf, das entsprach Luthers ureigenster Überzeugung. Von gleicher Ruhe und Schönheit ist die Altarie Nr. 2, nach dem e-moll des Eingangschores in h-moll stehend, und auch hier wird wieder das Wort, das vom Sterben als dem Lebensende redet, besonders hervorgehoben, diesmal durch eine Gene-ralpause, bevor dann die Bewegung mit der tröstlichen Zusage: [Jesus] lässet mir kein Leid geschehen wieder einsetzt. Doch damit nicht genug: Auch im dritten Satz bleibt das Thema Tod und Sterben im Vordergrund. Es ist ein tropierter Choral, gesungen von der Basstimme, was wohl kein Zufall ist, lässt sich doch der Choraltext mit seinen Erweiterungen (Tropie-rungen) besonders gut als Aussage Simeons verstehen. So gehen die erfüllte Zeit und der Glaubensarm, der das Heil des Herrn umfing, direkt auf ihn zurück. Bei den Choralzeilen hat Bach wichtige Worte durch Melismen hervorgehoben, ganz besonders deutlich wiederum das Wort Sterben als letztes Wort am Ende des Satzes. In den darauf folgenden Sätzen 4-6, die die zweite Hälfte der Kantate ausmachen, wird nun ein anderer, ein kräftigerer Ton angeschlagen. Er wird bestimmt von dem in Simeons Lobgesang verheissenen unbegreiflichen Licht für den ganzen Kreis der Erden und von Luthers zusätzlichem Hinweis auf den durch Christus aufgestellten Gnadenstuhl als Ort der Rettung für jedes gläubige Gemüte. Das im Duett Nr. 4 genannte höchst erwünschte Verheissungswort: "Wer glaubt, soll selig werden" ist eine Anspielung an den Schluss des Markusevangeliums: ?Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden" (Markus 16,16). Den Abschluss der Kantate bildet die vierte Strophe von Luthers Lied. Erleuchtung und Heil, sie sollen allen Völkern - den Juden wie den Heiden - zu Teil werden. Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort Luthers Lied "Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort" hat in der Kirchengeschichte viel zu reden gegeben, und in späteren Zeiten wurde der Wortlaut der Urfassung und steur des Papsts und Türken Mord häufig ersetzt durch deiner Feinde Mord . Nicht so in Bachs Kantate, aber es wird deutlich, dass in ihr das ursprüngliche Feindbild ausgeweitet wurde. Zu den äusseren Erzfeinden Christi und seiner heiligen Kirche, den Papst und Türken etc., wie sie bei Luther heissen, kommen im tropierten Choral Nr. 3 als ärgster Feind die inneren Feinde hinzu, d.h. die falschen Brüder in den eigenen Reihen, die Einssein im Glauben und Einheit im Leben der Kirche verunmöglichen, und schliesslich auch noch der letzte Feind, d.h. (nach 1. Korinther 15, 26) der Tod. Gott, der heilige Geist, wird um Hilfe gegen alle diese Feinde gebeten, eine Bitte, die Bach im Satz Nr. 3 in unvergleichlicher Weise vertont hat. Alt und Tenor wechseln sich bei den rezitativischen Partien ab, um sich dann jeweilen bei den Choralzeilen zu einer Zweistimmigkeit von höchster Intensität zu vereinen, die bei der Schlusszeile g'leit uns ins Leben aus dem Tod ganz besonders eindrücklich ist. Diesem Satz Nr. 3 gehen der Eingangs-chor Nr. 1 und die Tenorarie Nr. 2 voraus. Der Eingangschor ist ein Choralchorsatz mit dem Cantus firmus im Sopran, bei dem eine Trompete mitspielt, die Arie Nr. 2 richtet ihren Ruf um Hilfe gebetsartig an Christus als den Herrn der Herren und als starken Gott. Auf Satz 3 folgt eine höchst dramatische Continuoarie für Bass, in der man die schwülstig stolzen Menschen geradezu in den Abgrund stürzen sieht. Ein ruhiges Rezitativ für Tenor leitet über zum Schlusschoral "Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten", in dem für-bittend auch für die Obrigkeit und ihr Regiment eingetreten wird - eine Aufgabe wohl von immerwährender Aktualität; denn mit dem in diebus nostris - zu unsern Zeiten ist immer die Gegenwart gemeint. Dr. theol. HeleneWerthemann
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- Abb: Fischer, Hans Conrad: Johann Sebastian Bach:
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