|
|
Bach komponiert den Eingangschor im Stil einer Choralmotette. Die drei unteren Chorstimmen imitieren die jeweilige Choralzeile in kleinen Notenwerten, der Sopran singt darüber die Choralmelodie in Pfundnoten. Dazu kommt das kleinbesetzte Orchester mit ritornellartigen Vor- und Zwischenspielen, in denen ebenfalls die Choralthematik versteckt ist. Für die folgende Tenorarie "Gott ist mein Freund" hat Bach zwei obligate Instrumente vorgesehen. Überliefert ist allerdings nur die konzertierende Violinstimme. Die zweite Stimme (Oboe d'amore) wurde von J.-A. Bötticher rekonstruiert. Bach verbindet hier zwei Affekte: das mit einem lieblichen Schleifer beginnende Dreiklangsmotiv ("Gott ist mein Freund") und das Toben des Feindes (lange Koloraturen, stechende Bassfiguren). Nach einem kurzen Altrezitativ folgt eine Bassarie für zwei Oboen d'amore, Violine und Basso continuo. Während die unisono spielenden Oboen zusammen mit dem Basso continuo in ouvertürenartigen Rhythmen die Schläge des Unglücks gleichsam austeilen, beschreibt die Violine in gross ausgreifenden und unaufhörlichen Arpeggi das Ausmass dieses Unglücks "von allen Seiten" und webt das "zentnerschwere Band". Auch diese Arie ist affektmässig zwei- bzw. dreigeteilt: Die plötzlich erscheinende "helfende Hand" und "des Trostes Licht" erklingen in einer ganz anderen Motivik und in anderen Tempi (vivace bzw. andante). Eindrücklich ist die Wendung in Satz 5 (Recitativo accompagnato): Nicht das äussere Unglück bedroht mich am meisten, sondern der "Feind in mir". Da Gott mein Freund ist, kann ich ihm "das Innerste der Seele" geben, er verwandelt meine Last. Mit dieser Hoffnung, die aus der Hoheliedthematik schöpft, kann man in den kämpferischen und doch tröstlich endenden Schlusschoral einstimmen. O Ewigkeit, du Donnerwort Die Furcht exponiert im Eingangschoral in barocker Drastik mehrere Ebenen der Todeswirklichkeit (M. Petzoldt 2004): Die Ewigkeit als Gericht, den Schmerz, die Zeitlosigkeit, die Traurigkeit, die Fluchtlosigkeit, das Erschrecken, den unstillbaren Durst. Die Hoffnung antwortet mit einem Bibelzitat (Gen. 49, 18 und Ps. 119, 166): "Herr, ich warte auf dein Heil." Bach gelingt es, in einem Satz nicht nur Choral (Alt, durch ein Corno verdoppelt) und Arie (Tenor) miteinander zu verbinden, sondern auch eine selbständige Orchesterthematik zu entwickeln, die wechselweise die Gefühlslage der Furcht (Streicher, bebende Akkordwiederholungen) oder der Hoffnung wiedergibt (Oboen, sehnsüchtig-seufzende Figuren). Die scheinbar ausweglose Todeswirklichkeit hat nicht das letzte Wort: Sie wird von Bach in der Schlusszeile durch die Tenorstimme tonal und in der Länge überboten. Die folgenden Sätze der Kantate lassen sich auf dem Hintergrund der antiken Rhetorik verstehen: Satz 2 Argumentation Die Schrecken des offenen Grabes zeichnet Bach im zentralen Duett (Satz drei) mit einer extremen Verzweiflungsarie der Furcht; die Hoffnung hält sich an Jesus und will das Grab als Friedenshaus sehen. Der unverändert heftige Schluss der Arie scheint jedoch die Hoffnung gänzlich zu vertreiben. "Selig sind die Toten" (Satz vier, Offb. 14, 13): Diese unerwartete Zusage ist von Bach als eingeschobenes Arioso vertont. In drei sich steigernden Anläufen gewinnt die überzeitliche Stimme immer mehr Raum und vermag schliesslich die Furcht zu verwandeln, welche sich selbst aufgebend spricht: "Mein Leib mag ohne Furcht im Schlafe ruhn, der Geist kann einen Blick in jene Freude tun." Es ist genug |
|
|
|
1. Es ist genug; dissonanter Akkord über His Interessant ist die Rezeptionsgeschichte dieser Kantate im frühen 20. Jahrhundert. So liess sich der Maler Oskar Kokoschka (1886-1980) zu Beginn des 1. Weltkriegs von der Kantate zu einem Lithographiezyklus anregen (Berlin 1914). Und für Alban Berg war die Folge von drei aufsteigenden Ganztönen zu Beginn des Schlusschorals eine willkommene "Merkwürdigkeit", so dass er in seinem "dem Andenken eines Engels" gewidmeten Violinkonzert (1935) nicht nur den vierstimmigen Bachchoral als Ganzes zitiert, sondern auch seine Zwölftonreihe mit dieser Ganztonfolge schliesst. Jörg-Andreas Bötticher
|
|
|
|