Bachkantaten in der Predigerkirche
So. 11. Juni 2006, 17 Uhr
 

Einführung


Trinitatis

Das Trinitatisfest ist - wie Himmelfahrt und Pfingsten - Gott sei Dank bis heute von einer Vermarktung verschont geblieben. Der Geist entzieht sich jeglicher Vereinnahmung, die Vorstellung der göttlichen Dreieinigkeit übersteigt unseren Horizont. Johannes Tauler, der übrigens um 1340 eine Zeit lang an der Basler Predigerkirche gewirkt hatte und dessen Predigten sich auch in Bachs Bibliothek fanden, schreibt dazu: "Alle Feste dieses Jahres über, von welcher Art sie auch gewesen sein mögen, waren nur wie Blumen gegenüber dieser Frucht. [...] Tausendmal mehr als des obersten Seraph Erkenntniskraft die eines Esels übertrifft, unaussprechlich viel mehr übertrifft dieses Geheimnis der Heiligen Dreifaltigkeit alles Erkenntnisvermögen und alle Sinneskraft."


"Gelobet sei mein Gott"

Zu Bachs Zeit wurde Trinitatis noch als Hochfest gefeiert; in Schemellis Gesangbuch (Leipzig 1736) finden sich nicht weniger als 20 Lieder zu diesem Tag! Für die vermutlich zum Trinitatisfest 1726 oder 1727 entstandene Kantate 129 wählte Bach die Form einer Choralkantate; die fünf Sätze entsprechen den fünf Versen des Liedes "Gelobet sei mein Gott" von Johann Olearius (1665).

In der Reihenfolge Gott Vater - Sohn - Heiliger Geist werden die drei göttlichen Personen nacheinander angerufen. Bach beginnt die Kantate dem Festcharakter entsprechend mit einer üppigen Besetzung und in der königlichen Trompetentonart D-Dur. Die Thematik des Orchesterritornells greift die Dreiklangsstruktur des Choralanfangs auf, ist aber ansonsten weitgehend unabhängig von der Choralmelodie gestaltet. Der Choral selbst erklingt als motettischer Chorsatz mit cantus firmus im Sopran in langen Notenwerten. Das Lob Christi (Satz 2) vertont Bach als Duett zwischen Bass und Basso Continuo. Möglicherweise ist diese Stimmwahl beeinflusst von der Tradition, auch in den Passionen die vox Christi einem Bass zuzuweisen. Entscheidender für das Verständnis dieses Verses erscheint aber die dadurch gegebene Möglichkeit zwei gleicher Stimmlagen, die auseinander hervorgehen und doch miteinander eine Einheit bilden: In der zweiten Person verbinden sich nicht nur Vater und Sohn, sondern auch die göttliche und die menschliche Natur Christi.

Satz drei, eine Anrufung des Heiligen Geistes, wirkt durch die drei hohen Stimmen (Traverso, Violine und Sopran) und das verspielt gebundene 16tel-Motiv einerseits schwebend, andererseits wird durch die prägnante Rhythmik der Sopranstimme die lebendig-erneuernde Kraft des Heiligen Geistes spürbar.

Vers vier, ein Lob der Dreieinigkeit vertont Bach bezeichnenderweise als Trio im (zusammengesetzten) Dreiertakt. Passend zur Textstelle " ... den alles lobet, was in allen Lüften schwebet" wählt er neben der Alt- und der Continuostimme ein Blasinstrument (Oboe d'amore).

Im Schlussvers, einem vierstimmigen Choralsatz mit langen orchestralen Zeilenzwischenspielen, die von den Blechbläsern eingeleitet werden, erklingt die gleiche Besetzung wie zu Beginn der Kantate. Dieser Satztechnik hat sich Bach später wieder u.a. im Schlusschoral des Weihnachtsoratoriums bedient.

 

 

"Die Himmel erzählen die Ehre Gottes"

Diese Kantate (BWV 76) entstand zum 2. Sonntag nach Trinitatis, dem 6. Juni 1723. Es ist die zweite Kantate nach Bachs Dienstbeginn in Leipzig. Als Evangelium wurde an diesem Tag das Gleichnis vom grossen Abendmahl verlesen (Lk. 14, 16-24). Gerne wüsste man, wer die interessante, predigtartige Textgrundlage für Bachs Kantate geliefert hat, aber leider ist nur bekannt, dass Satz 1 zurückgeht auf Psalm 19, 2 und Satz 7 als Nachdichtung von Psalm 67 ein Lutherchoral ist. Der Text wechselt zwischen den Ebenen Psalmwort, Betrachtung, Aufruf und Gebet. Ausgehend vom Psalmvers wird im ersten Teil der Kantate der Frage nach der Transzendenz Gottes nachgegangen: Wo und wie wirken die göttlichen Mächte? Die Antwort Bachs lautet: Überall, durch "Natur und Gnade". Dies erinnert an die köstliche chassidische Legende: Einmal brachte eine Mutter ihren Sohn zum Rabbi. Da fragte der Rabbi den Jungen: Ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt. Der Junge erwiderte: Und ich gebe dir zwei, wenn du mir sagst, wo Gott nicht wohnt. (M. Buber) Dennoch scheint die Welt gott- und hilflos und schlägt die Einladung zum grossen Abendmahl aus. Was kann die christliche Gemeinde der Gottlosigkeit des "grössten Haufens" (Satz 4) entgegensetzen? Die durch Christus erfahrbare Liebe. Im zweiten Teil steht denn auch die Liebe Christi im Zentrum, die "Süssigkeit erweist und mich mit Manna speist" (Satz 11). Aufschlussreich für die theologische Vorstellung der Bachzeit ist der dreifache Gebrauch des Wortes Himmel in diesem Text: Als natürlicher Himmel (der Kosmos), als "Himmel auf der Erden" (die Kirche) und als "Himmel frommer Seelen" (die eschatologische Hoffnung).

Diese umfangreiche, in zwei mal sieben Sätze geteilte Kantate fällt durch ihre - für einen "normalen" Sonntag - reiche und vielfältige Besetzung auf: Zu dem mit zwei Oboen verstärkten Orchester und dem in tutti und solo differenzierten Gesangsquartett tritt im ersten Teil eine Trompete und im zweiten eine Viola da gamba als obligates Instrument hinzu.


Der Eingangschor - ein 'vokales Präludium' samt Fuge

Formal kann der Eingangschor als Präludium und Fuge gesehen werden (A. Dürr). Über dem in grossen Schritten und stabiler Dreiklangsharmonik schreitenden Basso continuo beginnt die Trompete mit einem erzählerisch diminuierten Fanfarenthema, was sofort vom Orchester aufgegriffen und in einem 12-taktigen Vorspiel dialogartig weitergeführt wird. Darauf exponiert der Bass das eigentliche Vokalthema: "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes". Die folgenden Orchestereinwürfe, die sich wieder der Thematik des Vorspiels bedienen, wirken nun wie eine Antwort von verschiedenen Seiten, ein allmähliches Ausbreiten der Ehre Gottes. Homorhythmisch und geradezu hymnisch setzt schliesslich das ganze Ensemble ein. Den zweiten Textteil ("Es ist keine Sprache noch Rede") baut Bach als vierstimmige Fuge auf. Indem er die Vokalstimmen allmählich durch die Instrumente verdoppelt, schafft er eine enorme Crescendo-Wirkung über 49 Takte, die durch den Trompeteneinsatz im 50. Takt als fünfte Stimme ihren dynamischen Höhepunkt erreicht. In den letzten vier Takten greift Bach noch einmal die Thematik des Orchestervorspiels auf und setzt dadurch eine überraschende Klammer zwischen Präludium und Fuge.


Trompete - Viola da gamba - Oboe d'amore

Während die Trompete gerne als Instrument der Macht und des siegreichen Kampfes gegen die "abgöttische Zunft" (Satz 5) eingesetzt wird, verwendet Bach die Viola da gamba oft in Verbindung mit Gedanken an den Tod. So z.B. in der Johannespassion ("Es ist vollbracht"), der Matthäuspassion ("Komm süsses Kreuz"), den Kantaten "Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit" (BWV 106) und "Lass Fürstin, lass noch einen Strahl" (BWV 198). In der Altarie (BWV 76, Satz 12) "Liebt, ihr Christen, in der Tat, Christus stirbet für die Brüder" kommt zum Aspekt des Sterbens noch der der Liebe hinzu, gewissermassen als Essenz des Evangeliums: Wie Christus sollen auch wir unser Leben aus Liebe füreinander hingeben. Dementsprechend setzt Bach hier neben der Viola da gamba die Oboe d'amore als ?Liebesinstrument' ein. Diese Instrumentenkombination eröffnet auch den zweiten Teil der Kantate mit einem Triosatz von unvergleichlicher Schönheit. Später hat Bach bekanntlich diesen Satz in seiner Orgeltriosonate e-Moll wieder verwendet (BWV 528).

Beide Kantatenteile schliessen symmetrisch mit einem gebetsartigen Choralvers, dessen einzelne Verszeilen jeweils von der Trompete vorimitiert werden. Die ostinaten Bassfiguren (65 Wiederholungen!) und der an Dissonanzen und Seufzer-Figuren reiche Orchestersatz unterstreichen nachdrücklich-bittend die Textaussage.

Jörg-Andreas Bötticher

 


Westempore der Nikolaikirche in Leipzig, Aquarell um 1785
("Ehemaliger innerer Prospect der Nicolai Kirche in Leipzig gegen das Chor")