Bachkantaten in der Predigerkirche So. 9. April 2006, 17 Uhr |
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Einführung Himmelskönig, sei willkommen Im Jahr 1714 fiel das Fest Mariä Verkündigung (25.3.) auf den Palmsonntag. Mit der Kantate 182 schuf Bach ein Werk, das die Thematik beider Feste in einzigartiger Weise verbindet. Diese Kantate erlebte unter Bach mehrere Wiederaufführungen und Bearbeitungen. Der heutigen Aufführung liegt die für die Weimarer Schlosskapelle entstandene Erstfassung zugrunde. Der unbekannte Textdichter (Salomon Franck?) deutet nach traditioneller Auslegungsart das (übrigens auch am 1. Advent verlesene) Palmsonntagsevangelium vom Einzug Jesu in Jerusalem (Matth. 21, 1-9) als Einzug Jesu in unser Herz. Nicht hoch zu Ross, mit Pauken und Trompeten, sondern auf einem unscheinbaren Esel, ohne jeden Pomp und in unbeschwerter Leichtigkeit zieht Jesus ein. In der einleitenden Sonata schreiten der Bass und die unteren Streicher mit Pizzicato-Achteln in einer ruhigen Andante-Bewegung, über der eine Violine zusammen mit einer flauto dolce eine kantable Melodie entfalten. Darauf folgt ein als Permutationsfuge gestalteter Chorsatz mit selbstständiger Instrumentalbegleitung. Durch die erst nach und nach hinzutretenden Instrumente entsteht der Eindruck eines anwachsenden Jubels, der durch die Blockflöte klanglich bekrönt wird. Nach einem kurzen Bassrezitativ, das in ein Arioso mit einer ostinaten Bassfigur mündet, folgen drei Arien (Bass, Alt, Tenor), bei denen Bach mit der Besetzung auch die Form wechselt. Inhaltlich ergibt sich eine Bewegung von der theologischen Aussage ("Starkes Lieben, das dich ... von dem Thron ... getrieben", vgl. Phil. 2), über die Aufforderung zur allgemeinen christlichen Nachfolge ("Leget euch dem Heiland unter") bis hin zur persönlichen Konsequenz ("Jesu, lass durch Wohl und Weh mich auch mit dir ziehen"). Bach zeichnet diesen Prozess nach, indem er die Instrumentalbegleitung schrittweise verkleinert. Die mittlere Arie (Satz 5) vereint im übertragenen Sinn den Aspekt des Palmenstreuens ("Leget euch dem Heiland unter") mit der als unbefleckt geltenden Figur Mariens ("tragt ein unbeflecktes Kleid"). Dies wird unterstrichen durch die vorwiegend absteigende und sehr expressive Motivik der Flöte und der Altstimme (Maria=Alt). Satz 6 verbindet den Affekt der Beharrlichkeit in der standhaften Nachfolge (quasi ostinate Bassfiguren) mit der Ablehnung durch die Welt (verminderte Septakkorde, Chromatik). Darauf folgt eine vierstimmige Choralfuge , in der jede Textzeile vorimitiert ist, bevor im Sopran der von der Flöte verdoppelte Choral in doppelten Notenwerten erklingt. Den Beschluss macht ein tänzerischer Da capo-Chorsatz in Form einer Gigue. In Text und Musik scheint hier die Schwere der Passion bereits überwunden, die österliche Vorfreude nicht mehr fern. |
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Jesus nahm zu sich die Zwölfe - "das Probestück in Leipzig"
Dennoch machte Bach bekanntlich nicht sofort das Rennen: Nach der Absage Telemanns und dem erfolglosen Versuch einer Berufung Johann Friedrich Faschs war Bach schliesslich nach Christoph Graupner und vor Georg Friedrich Kauffmann und Georg Balthasar auf Platz zwei gelandet. Nachdem auch Graupner nicht aus seinem Dienstverhältnis in Darmstadt entlassen werden konnte, war der Weg frei für Bachs Leipziger Wirken. Am 22. Mai übersiedelten die Bachs mit zwei Kutschen von Köthen nach Leipzig. Die letzte LeidensankündigungAm 7. Februar (Estomihi) wurde das Evangelium aus Lukas 18, 31-43 verlesen, das Christi dritte Leidensankündigung und den Bericht der Heilung des Blinden vor Jericho enthält. Beide Probekantaten nehmen Rücksicht auf die in Leipzig vorhandenen personellen Möglichkeiten, wie auch auf die kirchenmusikalischen Gegebenheiten. So bezieht sich die Kantate 22 auf den ersten Teil, die Kantate 23 auf den zweiten Teil des Evangeliums. Dem vierstimmigen, in solo und tutti differenzierten Chor stellt Bach ein kleinbesetztes Instrumentalensemble zur Seite. Mit Ausnahme der Partien für den Bass-Sänger und die Oboe, denen Bach offenbar mehr zutraute, konzentrierte er sich in der Kantate 22 auf ein "Standard-Niveau interpretatorischer Anforderungen", das er mit einer "auf höchster Stufe stehenden innerer Gestaltung der Sätze" zu verbinden versuchte (Konrad Küster 1999). Man bedenke, welches Niveau damit gesetzt worden ist! So beginnt Bach mit einem konzertanten Orchesterritornell. Nach sechs Takten leitet der Evangelist (als Tenor) die Worte Jesu ein, der (als Bass) die Leidensankündigung vorträgt. Dabei ist die expressive Melodik der Bassstimme kunstvoll mit der Motivik des Ritornells verwoben. Der weitere Bibeltext handelt vom Unverständnis der Jünger und ist sinnfällig als motettische Chorfuge gestaltet. Bach setzt hier ein besonderes Kunstmittel ein, um den Ausdruck der Verständnislosigkeit der Jünger zu verstärken: Er lässt die einzelnen Themen in realer, d.h. gleich bleibender Form einsetzen. Dadurch kommt er schnell in entfernte Tonarten. "Ziehe mich nach dir"Auch die erste Arie bedient sich starker Modulationen und Rückungen (von c-Moll als Grundtonart bis Ces-Dur!). Durch gebunden zu spielende, ausdrucksvolle Sprünge steht die Bitte plastisch vor dem inneren Auge des Hörers: "Ziehe mich nach dir". Das folgende Bassrezitativ ist nicht nur ein Musterbeispiel dafür, wie ein Text durch die begleitenden Streicher affektvoll kommentiert werden kann, sondern enthält darüber hinaus auch ein Zitat eines Passionschorals. Dem schliesst sich eine von den Streichern begleitete Tenorarie an, die im Passepied-Rhythmus gehalten ist. Trotz relativ unregelmässiger Verszeilen (11-11, 6-12, 11-11) gelingt Bach mittels verschiedener Textwiederholungen und lang gehaltener Töne (auf "Friede" und "ewig") die Übertragung in einen formal wunderbar proportionierten Satz (124 Takte). Der Schlusschoral ist zeilenweise eingebettet in ein heiteres Orchesterritornell. Dabei zieht sich die wellenartige Motivik der beiden instrumentalen Oberstimmen fast pausenlos durch das ganze Stück. Auf der Grundlage des Choraltextes sei eine Deutung gewagt: Der alte Mensch soll "ertötet", der neue erweckt werden. In mystischer Tradition geschieht diese geistliche Neugeburt durch das Element des Wassers. Die durchlaufenden 16tel Figuren mögen diesen Zusammenhang andeuten, finden sie sich doch u.a. auch in dem Choralvorspiel "Christ unser Herr zum Jordan kam" (BWV 684) und im Eingangschor der Johannespassion. Jörg-Andreas Bötticher
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