Bachkantaten in der Predigerkirche So. 11. Dezember 2005, 17 Uhr |
Einführung |
Da der Advent auch im lutherischen Leipzig traditionell als Fastenzeit galt, wurde in dieser Zeit vom Cantor keine figurale Kirchenmusic verlangt. Eine Ausnahme bildete der erste Advent als Beginn des neuen Kirchenjahres. Für die heutige Aufführung greifen wir deshalb auf die zum ersten Advent entstandenen Kantaten BWV 36 und 62 zurück. Als Sonntagsevangelium wurde die Geschichte des Einzugs Jesu in Jerusalem verlesen (Mt. 21, 1-9). Wie Jesus als König aber unerwartet sanftmütig auf einem Esel in Jerusalem einzieht, will er auch in unsere Herzen ziehen. In der altkirchlichen Exegese verbindet sich in diesem Text - in Erfüllung der alttestamentarischen Prophezeiungen - die Bewegung Jesu auf die Menschen zu mit der persönlichen Vorbereitung jedes Einzelnen auf die Gottesbegegnung. "Schwingt freudig euch empor"
Der Text des Eingangschores ist auf den ersten Blick etwas unverständlich: "Schwingt freudig euch empor zu den erhabnen Sternen, ihr Zungen, die ihr itzt in Zion fröhlich seid!" Auf dem Hintergrund des Sonntagsevangeliums sind die Jesus in Jerusalem entgegen jubelnden, Hosanna schreienden Menschen angesprochen - musikalisch umgesetzt mit einem tänzerisch emporschwingenden, sehr leichten Motiv. Dieses scheint sich durch die Triolen in Geige und Oboe noch mehr zu verflüchtigen. Das zweite von Bach sinnfällig mit einer überraschenden Pause versehene Textmotiv "Doch haltet ein" mag auf die notwendige Kontemplation hindeuten: der "Herr der Herrlichkeit" kommt uns entgegen, nicht nur als zu bejubelnder Herrscher, sondern auch als Bräutigam "mit sanften Schritten", dem ich durch Liebe und Glaube in meinem Herzen Platz machen möge.
Im Zentrum steht der von Martin Luther 1524 aus dem lateinischen Hymnus "Veni redemptor gentium" gebildete Choral "Nun komm der Heiden Heiland". Dieser gilt bis heute als der vielleicht bekannteste Adventschoral. Auch Bach scheint ihn sehr geliebt zu haben. So existieren ausser den beiden Kantaten mit diesem Titel (BWV 61 und 62) auch vier Choralbearbeitungen für Orgel (BWV 599, 659-661) sowie etliche Choralsätze. Im zweiten Kantatensatz (BWV 36, 2), einem wunderbar kontrapunktisch gearbeiteten Triosatz, der übrigens viele Ähnlichkeiten mit dem Leipziger Orgelchoral BWV 660 zeigt, benutzt Bach das aus der Anfangszeile des Chorals gebildete Motiv ritornellartig, nahezu wie einen ostinaten Bass. Die beiden von den Oboen d'amore verdoppelten Gesangsstimmen beginnen jede Zeile imitatorisch unter strenger Verwendung der cantus firmus -Töne. Darauf folgen freiere Figuren, die wie eine persönliche Ausgestaltung wirken. Besonders eindrücklich sind die seufzenden, bittenden Figuren "Nun komm", das grosse Melisma "alle Welt" und die staunend-hinweisenden Figuren "Gott solch Geburt".
"Nun komm der Heiden Heiland" Die folgenden Sätze in Bachs Kantate sind freie Umdichtungen der lutherschen Choralstrophen zu "Nun komm der Heiden Heiland". Die Tenorarie (2) kündet in weit gespannten Linien (40-tönige Koloratur, 21-taktiges Melisma!) von der Epiphanie (Erscheinung) des höchsten Beherrschers der Welt. Der Bass bittet in seiner Arie (4) vereint mit den unisono geführten Streichern den starken Held für uns zu streiten. Luther dichtete: "Führ hinaus den Sieg im Fleisch." In den Rezitativen dieser Kantate (3 und 5) wird - Jesu Geburt vorausnehmend - das göttliche Licht besungen: "O heller Glanz, o wunderbarer Segensschein"- "Die Dunkelheit verstört uns nicht, und sahen dein unendlich Licht." Auch hier handelt es sich um Paraphrasen des Chorals, nämlich um die Strophe 7: Dein Krippen glänzt hell und klar / die Nacht gibt ein neu Licht dar. Dunkel muss nicht kommen drein / der Glaub bleibt immer im Schein. Jörg-Andreas Bötticher
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