Bachkantaten in der Predigerkirche
So. 13. Februar  2005, 17.00 Uhr

 


Kantate BWV 18
 
Gleich wie der Regen und Schnee vom Himmel fällt

BWV 1048
Brandenburgisches Konzert No. 6

Kantate BWV 127  
Herr Jesu Christ, wahr' Mensch und Gott

 

Einführung

Bachs Choralkantate "Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott" (BWV 127) wurde zum Sonntag Estomihi, am 11. Februar 1725, in Leipzig erstmals aufgeführt, also fast auf den Tag genau vor 280 Jahren. Die zuerst erklingende Kantate "Gleich wie der Regen und Schnee vom Himmel fällt" (BWV 18) lässt sich nicht so genau datieren; mit Sicherheit ist sie mindestens zehn Jahre älter, entstammt also Bachs Weimarer Schaffenszeit. Vom Jahr 1714 an hatte er erstmals – als Bediensteter der beiden Herzöge von Sachsen-Weimar – den Auftrag zur regelmässigen Komposition und Aufführung von Kantaten.

"Gleich wie der Regen und Schnee ...."  gehört im liturgischen Kalender zum Sonntag Sexagesimae (eine Woche vor Estomihi). Gottes Wort wird in der Evangelienlesung zu diesem Sonntag verglichen mit dem Sämann, dessen Samen Frucht bringen möge. Der Jesaja-Text erweitert dies durch das Bild vom Regen und Schnee, wodurch die Erde fruchtbar gemacht wird.
Bachs frühe Kantaten sind experimenteller, individueller als die Leipziger Werke. BWV 18 hat eine sehr besondere Instrumentierung mit dem dunklen Klang von vier Bratschen. Zu einer Wiederaufführung in Leipzig kamen zwei Blockflöten dazu, in dieser Fassung erklingt das Werk. Auch die formale Anlage ist ungewöhnlich. Die Kantate beginnt mit einer Sinfonia, die in einer freien Ostinatoform (Chaconne) wohl das Bild der Anfangsworte nachzeichnet. Der Text erklingt weitgehend in rezitativischer Deklamation.
So auch im zentralen Satz der Kantate (3.Satz), in dem Bach die vielfältigen Gefahren und Gefährdungen in drastischer Rhetorik darlegt, unterbrochen durch eindringliche litaneiartige Anrufungen ("erhör uns, lieber Herre Gott"). Die archaische Wirkung der Litanei verleiht dieser Bach-Kantate ihre ganz besondere Farbe. Lieblicher in Tonart und Motivsprache ist die einzige Arie der Kantate, in der Gottes Wort als "Seelenschatz" besungen wird.

Die Anwesenheit von mehreren BratschistInnen legt es nahe, das sechste Brandenburgische Konzert ins Programm aufzunehmen. Auch dieses Concerto bevorzugt die "dunklen Klangfarben" der tiefen Streichinstrumente, die "freilich nicht für Düsternis stehen und einen Kopfsatz lebhaften, im Schlusssatz sogar heiter beschwingten Gestus nicht ausschliessen" (Martin Geck). Es hat mancherlei Deutungen auf den Plan gerufen, von wilden Dreiklangskaskaden bis hin zu Szenen aus dem Landleben, also eine Art Vorgriff auf Beethovens Pastorale. Im Kontext der Kantate vom Sämann (besonders wegen einer gewissen Ähnlichkeit zur Sinfonia) darf man wohl den lieblichen Aspekt ins Zentrum stellen.

"Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott"  ist Teil des monumental konzipierten Jahrgangs der Choralkantaten. Bekanntlich hatte Bach in seinem Leipziger Amt, das er zu Pfingsten 1723 angetreten hatte, wöchentlich eine Kantate aufzuführen, die ja nicht nur geprobt, sondern auch zuerst komponiert werden musste! Der zweite Jahrgang konzentriert sich auf den reichen Schatz des lutherischen Kirchenliedes. Je im Eingangschor wird der zu Grunde gelegte Choral in einem grossen Chorsatz mit Instrumenten dargestellt. Die weiteren Strophen des Liedes erklingen dann in Rezitativen und Arien (in freier Umdichtung) und den Abschluss bildet immer ein schlichter "Bach-Choral" in der Art eines Gemeindeliedes, doch in der unnachahmlichen Harmonisierung des Meisters.
Der Eingangschor über die erste Strophe des Liedes verkörpert in exemplarischer Konzentration Bachs musikalisch-christliches Weltbild. Zum ständig wiederholten Achtelmotiv "Herr Jesu Christ, wahr’ Mensch und Gott" wird (untextiert, von Instrumenten gespielt) ein weiterer Choral, das deutsche Agnus Dei, eingewoben:

Christe, du Lamm Gottes,
der du trägst die Sünd der Welt,
erbarm dich unser.

Christe, du Lamm Gottes,
der du trägst die Sünd der Welt,
gib uns deinen Frieden.


Die Arie "Die Seele ruht in Jesu Händen, wenn Erde diesen Leib bedeckt" gehört zu den eindrücklichsten Sterbebildern, die uns Bach hinterlassen hat. Die Kantilene der Oboe dialogisiert mit der Sopranstimme, begleitet von hingetupften Akkorden der Blockflöten; noch konkreter wird die Darstellung zum Text "Ach, ruft mich bald, ihr Sterbeglocken", wenn die Streicher mit ihrem Pizzicato die Glocken läuten lassen.
Schmetternde Posaunen, hier durch die Tromba da tirarsi  gespielt, vergegenwärtigen in einem dramatischen Rezitativ die Endzeit (man wird an die Passionsszene "Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden" erinnert). Versöhnlich singt aber der Bass, die Vox Christi, das Choralmotiv des Eingangschores mit der Zusage des ewigen Lebens.

Jean-Claude Zehnder